Zeitschriftenbericht
»Ausgepackt. Wie Deutschland am Krieg verdient:
Jürgen Grässlin, sein neues Enthüllungsbuch
und einige überraschende Geständnisse«
in Publik-Forum vom 17.05.2013



Ausgepackt. Wie Deutschland am Krieg verdient:
Jürgen Grässlin, sein neues Enthüllungsbuch
und einige überraschende Geständnisse

Von Bettina Röder

An diesem Samstag regnet es im badischen Freiburg. Für Jürgen Grässlin ist das eine gute Gelegenheit, sich nach langer Zeit endlich wieder privaten Dingen zu widmen. Dutzende von Abschlussarbeiten seiner Schüler sind korrigiert, sein »Schwarzbuch Waffenhandel« frisch gedruckt. Da erreicht ihn der Anruf seines Anwalts beim Einkauf mit der Familie. »Noch nie hatte ich so ein gutes Gefühl«, sagt Grässlin, der deutschlandweit als der beste Kenner des Rüstungsgeschäfts gilt und außerdem noch Lehrer ist.

Die Information des Anwalts war für ihn eine kleine Sensation, die erste Frucht seines Buches: Erstmals hat der Kleinwaffenhersteller Heckler & Koch bestätigt, illegal Sturmgewehre vom Typ G36 in die Unruheprovinzen Mexikos geliefert zu haben. Gegen zwei Mitarbeiter der Waffenfirma hat die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Stuttgart nun Haftbefehl erlassen, Heckler & Koch hat sie bereits fristlos entlassen. Und nicht nur um sie geht es. »Wir ermitteln gegen mehr als zwei Personen«, erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

»Schwarz auf Weiß steht das in meinem neuen Buch. Nur eben die jetzt erfolgten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht«, sagt Jürgen Grässlin. 9652 G36-Gewehre hat die Firma nach Mexiko geliefert, die Hälfte davon in vier verbotene Provinzen. »Eine Hammerzahl«, sagt er. Diese und andere Enthüllungen kann man nun in seinem mehr als 600 Seiten starken »Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient« lesen.

Vor zweieinhalb Jahren hat der 56-Jährige mit der Recherche begonnen. Möglich wurde ein solches Unterfangen nur, weil er seit dreißig Jahren im Geschäft ist. Der Hauptgrund: Er ist auf Informanten aus den Rüstungsfirmen angewiesen, »die wissen, da arbeitet einer seriös, der gibt uns Rückendeckung«. Nur dann seien sie »bereit auszupacken«. Auch im Fall der Waffenlieferungen nach Mexiko war das so. Da hat es ein Mitarbeiter bei Heckler & Koch nicht mehr ausgehalten. Er ist ausgestiegen, hat den Kontakt zu Grässlin gesucht und ihm dem Beweis für den illegalen Waffenhandel geliefert. »Aus christlicher Überzeugung«, er sei »nicht länger bereit zu lügen«, hat er gesagt. Denn er war einer von vier Mitarbeitern der Firma, die in Mexiko Polizisten im Umgang mit dem G36-Gewehr schulen sollten: in zwei der vier verbotenen Provinzen. Das G36, sagt Experte Grässlin, ist das modernste Sturmgewehr auf dem Globus. »Theoretisch 750 Schuss gibt es pro Minute ab.«

Doch in seinem Buch geht es mitnichten nur um Geschäfte, die, weil sie illegal sind, strafrechtlich verfolgt werden. Es geht auch um den politischen Skandal, dass Deutschland auch ganz offiziell die »schlimmsten Diktaturen der Welt« mit Waffen versorgt. Mit dem Segen der Bundesregierung. Beschlossen im neunköpfigen Bundessicherheitsrat, der unter Leitung der Bundeskanzlerin tagt und zur Geheimhaltung verpflichtet ist. »Zu den traditionellen Empfängern der unter der Partei mit dem C im Namen geführten Bundesregierung gehören die schlimmsten muslimischen Regime«, sagt Grässlin. Als ein gravierendes Beispiel nennt er Saudi-Arabien, wo die Scharia herrscht, vor allem auch Christen verfolgt und getötet werden. Allein 72 Eurofighter aus deutscher Produktion werden dorthin geliefert. Als weiteres Beispiel führt er die Grenzsicherungsanlage von 9000 Kilometern Länge an, die erste weltweit, die seitens der EADF mit deutscher Hilfe rund um das arabische Land gebaut wird. »Mithilfe der EADF wird die Festung Europa noch mal ganz neu definiert«, sagt er. Vom Leopard-2-Panzer, den Merkel als erste Bundeskanzlerin genehmigte, ganz zu schweigen.

Grässlin weist in seinem Buch allerdings nach, dass die Kleinwaffen die tödlichsten sind: Rund 63 Prozent aller Kriegstoten sind Gewehrtote, hinzu kommen zehn Prozent, die durch Kalaschnikows ums Leben kommen. Bei Letzterem ist Grässlin auch schon bei den Kindersoldaten. Im Zuge der Recherche hat er sich mit der Kinderhilfsorganisation terre des hommes zusammengesetzt und nachgewiesen, dass Deutschland an afrikanische Länder wie Somalia Kleinwaffen geliefert hat, obwohl es das laut den Vereinten Nationen gar nicht dürfte, weil dort Kindersoldaten eingesetzt sind. Unter Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel waren Kleinwaffenverkäufe an der Tagesordnung. Ausgepackt hat auch die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin in seinem Buch. Sie beschreibt, wie unter Rot-Grün im Sicherheitsrat Joschka Fischer und Gerhard Schröder die Waffendeals arrogant durchgedrückt haben.

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Als größten Kleinwaffenhersteller in Europa macht der mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnete Grässlin die Firma Heckler & Koch aus. Mehr als zwei Millionen Menschen seien durch die Waffenproduktion des mittelständischen Unternehmens ums Leben gekommen. Grässlin ist dort bei dem für ihn absurden Argument, durch die Rüstungsindustrie würden Arbeitsplätze gesichert. »Was könnte man nicht alles erreichen, wenn man die Ingenieure der Firma bei der Entwicklung der Solarindustrie einsetzen würde.«

Was aber kann der Einzelne tun? Grässlin, der selbst bei der Bundeswehr war und auf dem Schießplatz plötzlich erklärte, er mache nicht mehr mit, geht am Ende seines Buches darauf ein. Er verweist nicht nur auf die von ihm mit initiierte »Aktion Aufschrei. Stoppt den Waffenhandel« und die dort abrufbaren Wahlprüfsteine, die vor der Bundestagswahl an die Abgeordneten geschickt werden können. Er verweist vor allem auf unser Konsumverhalten. Beispiel Mercedes: Wer dort kauft, muss wissen, dass er einen führenden Hersteller von Militärfahrzeugen unterstützt. Ebenso wie jeder bei der Lufthansa gebuchte Flug den Rüstungskonzern EADS unterstützt. Und schließlich wären da noch die Banken. Für mehrere Tausend Euro aus der eigenen Tasche hat Grässlin recherchiert, dass von 2011 bis 2012 deutsche Banken und Investitionsfonds Waffengeschäfte im Wert von sechs Milliarden Euro finanziert haben. In seinem Buch sind sie aufgelistet.

»Ohne die Unterstützung meiner Familie, aber auch vieler Freunde hätte ich das alles nicht tun können«, sagt er. Auf Heckler & Koch ist er schon vor Jahren gestoßen. 1984 wurde er als Junglehrer versetzt, im Nachbarort war die Firma. Grässlin und seine Frau gaben den Plan auf, eine Schule in Afrika zu gründen, und blieben. Damals waren seine Recherchen noch von Drohanrufen begleitet. Das hat sich geändert. Immer mehr Menschen wollen dieses tödliche Geschäft nicht mehr. Einschließlich derer, die bei der Aufdeckung helfen. – Wie eben bei Heckler & Koch.

Wie Deutschland am Krieg verdient. Heyne 2013. Publik-Forum-Shop, Best.-Nummer 1030. Jürgen Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel.