Zur Übersicht
Zu Aktuelles
Erfolgversprechende Friedensarbeit
in der Höhle des Löwen
»Dabei hat für uns die Einhaltung ethischer Grundsätze höchste Priorität.«
Dieter Zetsche, Vorsitzender der DaimlerChrysler AG
Die DaimlerChrysler AG - Produzent und Exporteur ziviler wie militärischer Fahrzeuge: Weithin bekannt ist die DaimlerChrysler
AG (DC) durch die Produktion von Mercedes-Fahrzeugen. Vom Bonsai-Benz »Smart« über die Luxuslimousinen der C-, E- und S-Klasse bis
hin zum Bonzen-Benz »Maybach« verkaufte die Mercedes Car Group im Jahr 2005 mehr als 1,21 Millionen Fahrzeuge. Zusammen mit den
gut 2,81 Millionen Chrysler-Autos und den rund 824.000 Nutzfahrzeugen setzte DaimlerChrysler im vergangenen Geschäftsjahr mehr als
4,85 Millionen Fahrzeuge ab - die Fünf-Millionen-Zielmarke rückte damit in greifbare Nähe. DC ist Europas führender Automobilkonzern
und rangiert weltweit unter den Top Five.
Dabei wissen die wenigsten Autokunden, dass DaimlerChrysler nicht nur zivile Nobelkarossen fertigt, sondern auch Militärfahrzeuge,
die als Jeeps, Unimogs oder Armeetransporter in den vergangenen Jahren in Krisen- und Kriegsgebiete geliefert worden sind. Häufig
als so genannte »Dual-Use«-Fahrzeuge zivil exportiert und militärisch eingesetzt, dienen diese den Militärs beispielsweise zur
Truppen- und Materialverlegung an die Front oder zu Gefangenentransporten. Unter den Empfängerländern Tausender von
Mercedes-Militärfahrzeugen befanden sich Staaten wie der Sudan, Iran und Irak, in denen die Menschenrechte massiv verletzt wurden.
Jüngst sorgte das Vorgehen brasilianischer Spezialtruppen für Aufsehen. Auf der Jagd nach vermeintlichen Drogenhändlern schossen
Polizisten in Rio de Janeiro durch die Schießscharten ihrer Mercedes-Transporter auf Bewohner der Favelas. Durchkreuzt von zwei
Gewehren, ziert ein Totenschädel als Wappen die schwarz lackierten Polizeipanzer. Wer seitens der Zivilbevölkerung nicht rechtzeitig
in Deckung gehen konnte, wurde Opfer von Gewehrkugeln. Eines von mehreren Beispielen ist das des elfjährigen Carlos Henrique, der
aus einem Mercedes-Polizeipanzer heraus durch einen Kopfschuss getötet wurde. Laut Informationen der Menschenrechtsorganisation
amnesty international starben allein zwischen Mai und September 2005 nachweislich elf Menschen durch derartige Einsätze des
»Bataillons für Spezialoperationen« (Bope).
Genau das aber dürfte nicht mit Mercedes-Fahrzeugen passieren. Das Vertragswerk des »Global Compact« der Vereinten Nationen, das
auch DaimlerChrysler unterzeichnet hat, fordert, »dass Ihr Unternehmen sich nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt«. Das
Gegenteil ist der Fall: Fotos zeigen den Mercedes-Stern auf der Kühlerhaube der »Totenschädel«, wie die gefürchteten Todesfahrzeuge
der brasilianischen Polizei im Volksmund genannt werden. Recherchen von amnesty international belegen, dass die Mercedes-Fahrzeuge
von der brasilianischen Firma TCT Blindados zu Polizeipanzern umfunktioniert worden sind. Laut Auskunft der Berliner »taz« vom
20./21. Januar 2006 gibt man sich bei DC damit zufrieden, dass TCT Blindados versichert habe, keine Mercedes-Transporter umzubauen.
Neben der Fertigung und dem Export von Dual-Use- und Militärfahrzeugen ist DaimlerChrysler AG auch direkt an der Waffenproduktion
beteiligt. Im Geschäftsjahr 2005 hielt DC einen Aktienanteil von 29,89 an der European Aeronautic Defence and Space Company EADS
N.V (EADS) und ist damit Deutschlands Rüstungsproduzent und -exporteur Nummer 1. Auch wenn dieser Anteil in Absprache mit den
französischen Anteilseignern mittelfristig auf »mindestens 15 Prozent« gesenkt werden soll, will DaimlerChrysler »ein wesentlicher
Anteilseigner bleiben«, so der neue Daimler-Vorsitzende Dieter Zetsche auf der Aktionärshauptversammlung im letzten April.
Mit dem Zusammenschluss der früheren Unternehmen DaimlerChrysler Aerospace AG (Dasa), Aerospatiale Matra und Construcciones
Aeronautics S.A. (Casa) entstand im Juli 2000 der europäische Rüstungsgigant European Aeronautic Defence and Space Company EADS
N.V. mit Sitz in Amsterdam. Die EADS beschäftigte Ende des Jahres 2005 mehr als 113.000 Mitarbeiter, die bei einem Umsatz von 34,2
Milliarden Euro einen Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) von rund 2,9 Milliarden Euro erwirtschafteten. Der Rüstungsanteil der
EADS lag 2005 bei 22,5 Prozent, weshalb sich der Konzern selbst als »Europas führendes und weltweit zweitgrößtes Luftfahrt-,
Raumfahrt- und Verteidigungsunternehmen« anpreist.
Zu den weithin bekannten Daimler/EADS-Waffen zählen neben dem Kampfflugzeug Eurofighter, dem teuersten Rüstungsprojekt in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der militärische Transporthubschrauber NH90, der Militärtransporter A400M und das
Raketenabwehrsystem MEADS. Dagegen wissen nur Insider, dass die EADS auch Trägersysteme für Atomwaffen der französischen Marine,
Minenverlegesysteme und Streumunitionswerfer entwickelt bzw. produziert.
(J. Grässlin: Das Daimler-Desaster. München 2005; S. 118 ff.)
Im sechsten Jahr in Folge übertraf die EADS die angekündigten Ziele, 2005 feierte der Konzern als Rekordjahr. Dabei leisteten
die Geschäftsfelder des Verteidigungsbereichs weiterhin höhere Beiträge zur Steigerung des Auftragsbestands, der allein beim
zivil-militärischen Hubschrauberhersteller Eurocopter fast 10 Milliarden Euro betrug. Insgesamt belief sich der EADS-
Auftragsbestand Ende 2005 im so genannten »Verteidigungsgeschäft« - gemeint sind Rüstung und Rüstungsexporte - auf satte 52
Milliarden Euro.
Die Auftragsbücher sind derzeit prall gefüllt, entsprechend offensiv formuliert die EADS-Führung ihre Zielvorgabe für die kommenden
Jahre: »Die Steigerung seiner Fähigkeiten und Umsätze im Verteidigungsbereich ist für den EADS-Konzern von hoher strategischer
Priorität«, verkündete der Konzern bei der vergangenen Hauptversammlung im Mai. Die bedeutendsten Beiträge liefern bereits die
Bestellungen des Militärtransportflugzeuges A400M aus Südafrika und Malaysia, des Militärtransporters C-295 zur Modernisierung der
brasilianischen Seefernaufklärer und von Exocet-Lenkflugkörpern aus Indien - Länder, in denen eine breite Unterschicht Not leidender
Menschen Nahrungs- und Gesundheitsprogramme benötigt statt milliardenschwere Waffenbeschaffungen.
Was für die Opfer des Einsatzes von EADS-Waffen in Kriegen und Bürgerkriegen lebenslange Verstümmelung oder den Tod bedeutet,
lässt die Aktionärinnen und Aktionäre des Rüstungsriesen jubeln: Der Verlauf der Aktie zeigt laut EADS »eine starke Performance«.
Das EADS-Wertpapier ist von 7 Euro im Frühjahr 2003 auf mehr als 33 Euro im Winter 2005 gestiegen, die Dividende von 0,40 Euro
(2003) auf 0,50 Euro (2004) und nunmehr 0,65 Euro (2005) je Aktie. Waffentransfers an Scheindemokraten und Diktatoren stellen
offensichtlich ein lukratives Geschäft für Aktionäre dar.
Stachel im Fleisch des Rüstungsriesen DaimlerChrysler sind die Kritischen AktionärInnen. Im Gegensatz zu einer
mittelständischen Waffenschmiede wie Heckler & Koch (H&K), die sich im Besitz von Privatinvestoren befindet, bietet ein
rüstungsproduzierender Großkonzern als Aktiengesellschaft (AG) einen effizienten Ansatzpunkt für ihre Friedensarbeit: Aktionäre
haben laut Aktiengesetz Antrags-, Rede- und Auskunftsrecht. Damit muss der Protest von Konzernkritikerinnen und -kritikern nicht
vor dem Werkstor Halt machen, sondern kann in das Unternehmen hinein getragen werden.
Mit dem Motto »Entrüstet Daimler« gründeten wir 1990 die »Kritischen Aktionäre Daimler-Benz«, mit dem Zusammenschluss der
Daimler-Benz AG und der Chrysler Corporation 1998 in »Kritische AktionärInnen DaimlerChrysler« (KADC) umbenannt. Dabei hatten wir
als einzige Aktionärsvereinigung vor den Folgen des Mergers gewarnt und gegen die Übernahme der Chrysler Corporation gestimmt. Ziel
der im KADC organisierten Friedensorganisationen und Einzelpersonen - Belegschaftsaktionäre, Betriebsräte u.v.a.m. - ist die
Rüstungskonversion, die Umstellung der militärischen auf eine sinnvolle zivile Fertigung.
Alljährlicher Höhepunkt der Auseinandersetzung ist zumeist die Jahreshauptversammlung (HV), denn Vorstand und Aufsichtsrat sind
gegenüber ihren Aktionären - den Eigentümern des Konzerns - rechenschaftspflichtig. Sehr erfreulich ist die breite Medienresonanz,
die wir bei unseren beiden KADC-Pressekonferenzen in Stuttgart und Berlin im Vorfeld der jeweiligen Hauptversammlung erfahren.
Unter dem Titel »Im Schatten des Sterns« geben wir unsere Alternativen Gegenberichte heraus, in denen wir die dunklen Seiten der
Daimler-Geschäftspolitik beleuchten, die in den offiziellen Geschäftsberichten und Hochglanzbroschüren unterschlagen werden. Direkt
vor dem Eingangsbereich des Berliner Messegeländes ICC, wo die HVs seit Jahren stattfinden, führen wir Aktionen durch. Diese reichen
vom Verteilen der Gegenberichte bis hin zu »Daimlers Blutcocktail«, bei dem KADC-Mitglieder als Kellner verkleidet symbolisch
blutroten Saft dargeboten haben, um auf die unmoralische Rüstungsproduktion und die menschenverachtenden Daimler/EADS-
Rüstungsexporte aufmerksam zu machen.
Bei der diesjährigen Hauptversammlung am 12. April 2006 verweigerten wir Vorstand und Aufsichtsrat wegen deren wirtschaftlichen
und ethischen Versagen die Entlastung. In Redebeiträge kritisierten u.a. die DFG-VK-Mitglieder Joachim Thommes und Alexander
Dauensteiner die verfehlte Automobil- und Rüstungsproduktion, insbesondere im Bereich der Landminen und Streumunition.
Kritische Aktionäre zeigen Daimler die »Rote Karte«
Die KADC stellen ein Erfolgsmodell politischer Friedensarbeit dar, auch wenn diesem Engagement in der Hauptversammlungshalle
enge Grenzen gesetzt werden. So legte Versammlungseiter Hilmar Kopper die Reihenfolge der Rednerinnen und Redner in den vergangenen
Jahren immer mehr zu unseren Ungunsten aus, seine Redezeitbegrenzung traf damit besonders die Kritischen AktionärInnen. Damit war
die Medienresonanz in den Berichten über den direkten Verlauf zuweilen begrenzt. Auch dürfte die Zahl der KADC-RednerInnen noch
größer sein, selbst wenn wir mittlerweile rund ein Viertel der Redebeiträge und zwei Drittel der Gegenanträge stellen. Letztere
werden im Vorfeld der Hauptversammlung auf die Website des Konzerns gestellt und können jederzeit abgerufen werden (
siehe
www.daimlerchrysler.com > Deutsch > Suchbegriff: »Gegenanträge«).
Unser größtes Defizit besteht in der unzureichenden Partizipation an den EADS-Hauptversammlungen in Amsterdam, wo wir in den
kommenden Jahren einen unserer Schwerpunkte setzen sollten. Wer zukünftig an einer Daimler- und/oder EADS-Hauptversammlung
teilnehmen möchte, muss lediglich eine Aktie erwerben, wobei die Stimmrechtsübertragung bei rechtzeitiger Anmeldung auch durch den
KADC erfolgen kann.
Zeichen des Protests in der Aktionärsversammlung
Der »Global Player« DaimlerChrysler erscheint übermächtig - und ist genau das nicht. Als Autokonzern mit der Nobelmarke Mercedes
ist DC in besonderem Maße auf seinen exzellenten Ruf angewiesen, ansonsten wechseln kaufkräftige Autokunden zur Konkurrenz.
Konzernkritische Postkartenaktionen (siehe hierzu den Beitrag zur Postkartenaktion der Daimler/EADS-Streumunition in dieser
ZivilCourage), Gegenanträge, Redebeiträge und öffentlichkeitswirksame Aktionen bei den Hauptversammlungen, Zeitungs- und
Zeitschriftenberichte und Bücher (»Das Daimler-Desaster« u.a.) verfehlen ihre Wirkung nicht.
Der neue DC-Vorsitzenden Dieter Zetsche hat diese Schwachstelle erkannt und im neuen Geschäftsbericht mit dem Titel »Werte
erfahren« verkündet, die Einhaltung ethischer Grundsätze habe »höchste Priorität«. Doch bei kaum einem anderen Konzern klaffen
Anspruch und Wirklichkeit einer werteorientierten Geschäftspolitik derart weit auseinander. »Waffen erfahren« lautete
dementsprechend das Motto des KADC-Gegenberichts 2006. Wer den DaimlerChrysler-Vorstand zum Ausstieg bei der EADS bewegen will,
der muss Druck ausüben. Genau hier müsste eine gemeinsame Imagekampagne der Kritischen AktionärInnen, der DFG-VK und anderer
Friedens- und Menschenrechtsorganisationen ansetzen.
Jürgen Grässlin
ist DFG-VK- und KADC-Bundessprecher und Autor des Bestsellers »Das Daimler-Desaster«
Kontakt
Weitere Informationen zu DaimlerChrysler, EADS und die Arbeit gegen Rüstungsproduktion und -exporte sind erhältlich bei:
Kritische AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC)
c/o Paul Russmann
Ohne Rüstung Leben
Arndtstraße 31
70197 Stuttgart
Tel. 0711-60 83 96
Fax 0711-60 83 57
eMail
orl-russmann@gaia.de
Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre
c/o Henry Mathews
Ebertplatz 12
50668 Köln
Tel. 0221-599 56 47
Fax 0221-599 10 24
eMail
dachverband@kritischeaktionaere.de
Internet
www.kritischeaktionaere.de
In:
ZivilCourage Nr. 3, Juli 2006, S. 12 ff.