KARLSRUHE. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat kritische Äußerungen über Wirtschaftslenker erleichtert. Eine Klage von Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp gegen den Freiburger Daimler-Kritiker Jürgen Grässlin wurde jetzt unter Verweis auf die Meinungsfreiheit abgelehnt. In den Vorinstanzen hatte Grässlin noch verloren.
[Jürgen Schrempp Foto: ddp]
Als Jürgen Schrempp im Juli 2005 seinen Rücktritt für Ende des Jahres ankündigte, hatten viele das Gefühl, dass etwas faul ist. In der ad-hoc-Mitteilung des Daimler-Chryler-Aufsichtsrats fehlten die üblichen Dankesworte und es gab – trotz laufenden Vertrags – keine Hinweise auf eine Abfindung.
Am Abend desselben Tages lud die SWR-Landesschau den Schrempp-Kenner und -Kritiker Jürgen Grässlin zu einem Interview ins Studio, um über die Umstände des Rückzugs zu sprechen. Grässlin hatte einst »von Freiburger zu Freiburger« lange Gespräche mit Schrempp geführt und daraus 1998 eine Biographie verfasst. Schrempp fand sich allerdings zu negativ dargestellt. Seither war das Tischtuch zwischen beiden zerschnitten.
Grässlin vermutete im SWR-Interview, dass der überraschende Schritt von Schrempp wohl eine Folge des massiven Verlusts an Börsenwert, Arbeitsplätzen und Qualität bei Daimler-Chrysler war. Was Grässlin sagte, gefiel Schrempp und der damaligen Daimler-Chrysler AG überhaupt nicht. Für zwei Aussagen verlangten sie ausdrücklich die Abgabe einer Unterlassungserklärung. Grässlin sollte nicht mehr sagen dürfen: »Ich glaube nicht, dass der Rücktritt [Aussage für mich – trotz des positiven BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] war, ich glaube, dass er dazu […] wurde.« Das gleiche galt für die Vermutung »... und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer so […] waren, die Herr Schrempp geregelt hat«.
Beim Landgericht Hamburg und auch beim dortigen Oberlandesgericht hatte Schrempp Erfolg. Die Richter werteten das Persönlichkeitsrecht von Manager Schrempp höher als die Meinungsfreiheit des Daimler-Kritikers. Es genüge nicht, dass Grässlin seine Aussagen als Vermutungen darstelle.
Erst in der letzten Instanz beim BGH bekam Grässlin jetzt Recht. Die Karlsruher Richter werteten beide Aussagen als Werturteile, nicht als Tatsachenaussagen. Grässlin müsse deshalb nicht die Richtigkeit beweisen. Seine Äußerungen seien auch keine unzulässige Schmähkritik.
Der Persönlichkeitsschutz von Schrempp müsse hier zurückstehen, weil an der Bewertung seines angekündigten Rücktritts ein großes öffentliches Interesse bestand. Die Grenzen zulässiger Kritik gegenüber einem Großunternehmen und seinen Führungskräften seien weiter als bei normalen Personen, betonten die Richter. Wenn man Äußerungen wie die von Grässlin unterbinden könnte, wäre eine öffentliche Diskussion aktueller Ereignisse in verfassungswidriger Weise erschwert, argumentierten sie.
[Jürgen Grässlin Foto: ddp]
Grässlin feierte das Urteil als »Sieg der Meinungsfreiheit« und freut sich, dass nun Schrempp und Daimler die rund 35 000 Euro Prozesskosten bezahlen müssen. Eingeschüchtert sei er aber nie gewesen, sagte Grässlin am Dienstag der Badischen Zeitung: »Ich habe Daimler weiter als ’Deutschlands größten Waffenhändler’ kritisiert und die Kampagne ’Wir kaufen keinen Mercedes’ angestoßen.«
(Az.: VI ZR 19/08)