Zeitschriftenbericht
»Volker Kauder: Ein Mann mit zwei Gesichtern«
in Publik Forum vom 27.08.2012



Volker Kauder: Ein Mann mit zwei Gesichtern

Volker Kauder macht Christenverfolgung zum Thema der Politik - und wirkt als Schutzpatron der Waffenfirma Heckler und Koch

Von Thomas Seiterich

Volker Kauder, Jahrgang 1949, zählt als langjähriger Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion von CDU und CSU zu den mächtigsten Politikern in Deutschland. Und zu Hause, im Bundestagswahlkreis 285 Rottweil-Tuttlingen, ist Kauder mit konservativen Pfarrern, Bürgermeistern, Bauern und bodenständigen Unternehmern per Du. Ein Politiker mit dem in Schwaben geschätzten Bienenfleiß. Nach der Politikwoche in Berlin eilt Kauder in den Heimatwahlkreis zur »Einweihung der Flaschenfüllanlage der Hirsch-Brauerei in Wurmlingen« oder nach Dunningen zur »Besichtigung der neu gestalteten Dorfkirche mit Imbiss«.

Zum Profil des Christdemokraten trägt auch eine betonte konservative Christlichkeit bei. Zumal die Bundeskanzlerin, obgleich Pfarrerstochter, dieses Profil, auf das die Traditionsbataillone der Union geeicht sind, persönlich nicht pflegt.

Doch der populäre Volker Kauder ist ein Mann mit zwei Gesichtern. Sein zweites Gesicht trägt er selten in die Öffentlichkeit: Es zeigt seine engen Verbindungen zum Waffenhersteller Heckler & Koch. Seit Jahren wird Kauder angelastet, »Waffenexporte der Firma Heckler & Koch zu unterstützen und bei der Abwicklung von Aufträgen zu helfen«, heißt es in der Enzyklopädie Wikipedia. Die Wochenzeitung Die Zeit nennt ihn einen »gewichtigen Fürsprecher« der in seinem Wahlkreis arbeitenden Waffenschmiede aus Oberndorf.

Die Aktivitäten von Heckler & Koch müssten Kauder aus einem bestimmten Grund besonders schmerzen. Denn: Wie kein anderer Spitzenpolitiker macht der Christdemokrat seit Jahren auf die weltweite Christenverfolgung aufmerksam. Dabei vermeidet er parteipolitische Spitzen. Folglich wird er von Abgeordneten aus allen Parteien, einschließlich der Linken, unterstützt, wenn er das in der Öffentlichkeit häufig verdrängte Thema Christenverfolgung zum Gegenstand von Beratungen im Bundestag macht. Um über Christenverfolgung zu sprechen, reiste Kauder im Februar zu UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon nach New York.

Doch was, wenn mit Gewehren aus Oberndorf bei Religionskriegen in Übersee Christen bedroht und getötet werden? Zum Beispiel in Mexiko, Pakistan oder Nigeria? Diese Frage wirft Jürgen Grässlin auf. Der Freiburger Experte für Rüstungsexporte gilt als der beste kritische Kenner von Heckler & Koch und hat sich auch mit der Rolle eines CDU-Spitzenpolitikers wie Volker Kauder im Umfeld dieses berüchtigten Unternehmens beschäftigt.

Porentiefe Christlichkeit und Schusswaffenexport: Volker Kauder vereint Gegensätze. Seine Rechte – konservative christliche Werte – weiß offenbar nicht, was seine Linke - Stützung der Waffenschmiede - tut.

Kauder ist aktuell mit 48,1 Prozent der bei der Bundestagswahl 2009 abgegebenen Stimmen direkt gewählter Abgeordneter des Bundestagswahlkreises 285 Rottweil-Tuttlingen. Im Norden seines Wahlkreises arbeitet Neckar Heckler & Koch. »Das tödlichste Unternehmen in Deutschland«, so urteilt das linker Thesen völlig unverdächtige Magazin Wirtschaftswoche in einem Porträt der Firma. In Kriegsregionen wie Somalia sei das unter Kriegern global verwendete Kürzel H&K bekannter als prominente deutsche Auto-Marken wie Audi oder BMW.

»Weltweit schießen Polizisten und Kriminelle, Militärs und Guerilleros mit einem deutschen Sturmgewehr«, titelt Der Spiegel. Doch für die frommen Protestanten in der Deutschen Evangelischen Allianz, als deren Sympathisant er sich zuweilen erklärt, ist Kauder ein Politiker ohne Fehl und Tadel, ein evangelischer Verteidiger christlicher Werte. Wegen seines Einsatzes für verfolgte Christen wurde er im Herbst 2010 mit dem Medienpreis Goldener Kompass des Christlichen Medienbundes KEP der Konferenz Evangelikaler Publizisten ausgezeichnet.

Kauder bekennt, so stand es 2007 auf seiner Webseite, er stehe zur Hilfe für Unternehmen im Wahlkreis bereit. Den Tuttlinger Weltmarktführern in Medizintechnik, Aesculap, Berchtold oder Karl Storz, muss er kaum helfen. Wohl aber Heckler & Koch. Denn dort schienen die 700 Arbeitsplätze im letzten Jahrzehnt zuweilen gefährdet.

Heckler & Koch fertigte seinen Klassiker, das Sturmgewehr G3, über vierzig Jahre lang. Es gibt sieben Millionen G3 weltweit. »Rund anderthalb Millionen Menschen wurden damit getötet«, rechnet Rüstungsgegner Grässlin vor. G3 war seit 1956 das Standardgewehr der Bundeswehr und wurde legal in über achtzig Staaten geliefert. Doch das war H&K nicht genug.

»Sie haben ungewöhnlich viele Produktionslizenzen vergeben«, sagt der Chef des Instituts für Friedensforschung an der Universität Hamburg, Michael Brzoska: an Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Malaysia, Mexiko, Norwegen, Pakistan, Portugal, Saudi-Arabien, Schweden und die Türkei. Hinzu kommen Diktaturen wie der Iran, Sudan oder Myanmar. Manche dieser Länder bauen seit Langem ohne Lizenz weiter. Sie exportieren wild - und ruinieren den Ruf von H&K vollends.

Das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz wird via Lizenzproduktionen und anderweitig umgangen. Als es vor den Gerichten wegen illegalen Kriegswaffenexports und Bestechung einmal besonders schlimm stand, war es Volker Kauders Bruder Siegfried, der als Rechtsanwalt dem Oberndorfer Konzern beistand. Der Jurist Siegfried Kauder sitzt heute, wie Bruder Volker, für die CDU im Bundestag. Der frühere H&K-Anwalt vertritt den Nachbar-Wahlkreis 286 Schwarzwald-Baar.

Durch keine andere Waffenart sterben jährlich so viele Menschen wie durch Schusswaffen. Offiziell beliefert H&K mit seinem tödlichen Sortiment 88 Länder. Für Libyen galt ein Waffenembargo. Doch auch Libyens Militär mordete mit modernsten H&K-Gewehren vom Typ G36, bis Diktator Gaddafi im Herbst 2011 fiel. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft erklärte darauf, sie ermittle gegen Verantwortliche von H&K.

Deutschlands Gesetze gegen Kriegswaffenexport lassen sich umgehen. Wie, das weiß kaum jemand besser als die Herren in Oberndorf. Falls nötig, werden an Verboten vorbei Kleinkontingente »zu wissenschaftlichem Zweck« ausgeführt. - Heckler & Koch ist nicht undankbar. Von 2001 bis 2011 überwies die Firma viele zehntausend Euro an Spenden an die CDU, Kreisverband Rottweil. Das Geld habe nichts mit Kauder zu tun, erklärt H&K. Doch der profitierende CDU-Kreisverband Rottweil liegt im Wahlkreis von Volker Kauder.

http://www.publik-forum.de/politik-gesellschaft/artikel/volker-kauder-ein-mann-mit-zwei-gesichtern-online?idw=20129908