Weil sie an illegalen Waffenlieferungen nach Mexiko beteiligt gewesen sein sollen, müssen sich wohl spätestens Anfang nächsten Jahres frühere Mitarbeiter der Rüstungsfirma Heckler&Koch vor Gericht verantworten. Das könnte aber auch den Journalisten passieren, die diese Geschäfte erst bekannt gemacht und der Staatsanwaltschaft die Hinweise geliefert haben.
Von Uschi Götz
[Foto] Das Logo der Heckler & Koch GmbH an der Niederlassung des Unternehmens in Oberndorf. (picture alliance / dpa / Wolfram Kastl)
>AUDIO (im Foto) ZUM ANHÖREN
5:32 min
Die ARD widmete im September vergangenen Jahres einen Themenabend dem brisanten Stoff: Waffenexporte nach Mexiko. Zunächst war der halbfiktive Film »Meister des Todes« zu sehen, eine Gemeinschaftsproduktion von SWR und BR. Im Anschluss an den Spielfilm zeigte Das Erste noch eine 30-minütige Dokumentation. Dabei gab es tiefe Einblicke in das schmutzige Geschäft des Waffenhandels. Auf eindrückliche Weise zeigte der Fernsehabend, welche Rolle deutsche Sturmgewehre, konkret das G36 von Heckler&Koch, im mexikanischen Drogenkrieg spielen. Der Themenabend schlug hohe Wellen - und führte zu einer Aktuellen Stunde im Bundestag.
In der Folge erhielten die Autoren Daniel Harrich und Jürgen Grässlin mit ihrem Rechercheteam den Grimme Preis 2016 für besondere journalistische Leistungen. Die Freude währte nur kurz: mittlerweile laufen Ermittlungen gegen die Autoren. Dabei geht es um das Buch »Netzwerk des Todes«, das zum Themenabend im Heyne Verlag erschien.
Rainer Dresen von der Rechtsabteilung des Heyne-Verlags spricht von Einschüchterungsversuchen gegenüber den Autoren und kann sich nicht an einen ähnlichen Fall erinnern: »Das Kuriose für uns ist ja schon, dass man den Autoren vorwirft, dass sie (einerseits) der Staatsanwaltschaft Stuttgart Informationen geliefert haben, die auch im Ermittlungsverfahren gegen Heckler&Koch verwendet wurden, wie wir jetzt erfahren. Und man den Autoren aber sagt, die Informationen, die wir von euch haben, die hättet ihr selber nicht im Buch verwerten dürfen.«
Auch Juristen mussten erst nachschlagen
Nach Erkenntnissen des Heyne Verlags wirft man den Autoren vor, sie hätten über verbotene Mitteilungen von Gerichtsverhandlungen nach Paragraf 353 d, Nummer 3 Strafgesetzbuch verstoßen. Vereinfacht ausgedrückt: Sie sollen Details aus Ermittlungsakten veröffentlicht haben. Auch die Juristen mussten nachschlagen: »Das ist ja eher eine Exotenvorschrift, die man als Autor und als Verlag nicht jeden Tag zur Hand nehmen muss.«
Dabei waren es die Autoren selbst, die nach Angaben eines Beteiligten der Staatsanwaltschaft die entscheidenden Beweise geliefert hätten. Bereits vor sechs Jahren stellte Grässlin Strafanzeige gegen Verantwortliche von Heckler&Koch. Jahrelang ermittelte die Staatsanwaltschaft Stuttgart und erhob erst im vergangenen November Anklage gegen sechs, zum Teil ehemalige Mitarbeiter von Heckler&Koch. Staatsanwalt Jan Holzner: »Die Staatsanwaltschaft wirft den insgesamt sechs Angeschuldigten vor, in den Jahren 2006 bis 2009 in unterschiedlichen Funktionen bei dem Waffenhersteller an insgesamt 16 Lieferungen von Gewehren und Zubehörteilen nach Mexiko beteiligt gewesen zu sein. Dabei ist entscheidend, dass die Gewehre und Zubehörteile in Kenntnis der Angeklagten in mexikanische Bundesstaaten abgegeben worden sein sollen, die nicht von den deutschen Exportgenehmigungen umfasst waren.«
Doch überraschenderweise leitete die Staatsanwaltschaft Stuttgart im April dieses Jahres auch ein Ermittlungsverfahren gegen die Buchautoren von »Netzwerk des Todes« ein. Stuttgart übergab den Fall an die Staatsanwaltschaft München. Begründung: Der Heyne Verlag hat dort seinen Sitz. Allerdings wird nicht gegen den Verlag ermittelt, sondern gegen Buchautoren. Die grüne Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger, Mitglied im Verteidigungsausschuss und Obfrau im Unterausschuss Abrüstung und Rüstungskontrolle, ist entsetzt: »Da sind Journalisten, da sind Menschen, die recherchiert haben, die aufgedeckt haben, wie hier zentrale wichtige Bereiche der Bundesregierung im kritischen Bereich der Rüstungsexporte gebrochen wurden, und damit ein Missstand ans Tageslicht gebracht haben. Und die jetzt sozusagen mit einem Gerichtsverfahren überzogen werden sollen.«
Ein Angriff auf die Pressefreiheit?
Damit strafe man die Falschen, ist sich Brugger sicher und sieht Parallelen zu dem Versuch von Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums, Veröffentlichungen über das Gewehr G36 zu verhindern. »Auch da ist ja dann ans Tageslicht gekommen, dass Heckler&Koch zwischenzeitlich versucht hat, das Verteidigungsministerium davon zu überzeugen, den militärischen Abschirmdienst, also einen Geheimdienst, einzuschalten, um Quellen von Journalisten auszuforschen. Ich finde, das ist auch ein Angriff auf die Pressefreiheit und das geht nicht. Wir sollten in unserer Gesellschaft nicht die bestrafen, die Missstände aufdecken, sondern diejenigen bestrafen, die Gesetze brechen und Missstände verüben.«
Dem Autor Jürgen Grässlin wird am 10. Dezember der Stuttgarter Friedenspreis verliehen. Er freue sich auch auf diese Auszeichnung, meint Grässlin und fügt sarkastisch hinzu, er hoffe, dass er bis dahin nicht im Gefängnis sitze: »Eigentlich müsste man sagen: Dankeschön liebe investigative Journalisten, liebe Buchautoren, liebe Filmemacher, dass ihr so eine sensationell gute Recherche betrieben habt. Dass Ihr Euch getroffen habt, mit Aussteigern, mit Whistleblower von Heckler&Koch, dass ihr voll umfänglich Material der Stuttgarter Staatsanwaltschat zur Verfügung gestellt habt, damit sie ihre Anklage erheben kann.«
Vonseiten des Heyne Verlags heißt es, man stehe voll hinter den Autoren, Jurist Dresen meint, es handle sich um mindestens einen zweiten Fall Böhmermann: »Hier bei den Autoren, die haben ja wirklich was offengelegt, was von niemand mehr verteidigt werden kann. Und dass das mittlerweile gesellschaftlich durchaus sehr kritisch betrachtet wird, das ist den Autoren zu verdanken. Da haben die Autoren meines Erachtens deutlich mehr für die Gesellschaft getan, als der Herr Böhmermann für die Pressefreiheit. Das ist auf ähnlicher Ebene meines Erachtens noch viel gewichtiger sogar noch zu behandeln.«
Heckler & Koch klagt gegen Bundesregierung
Terror in Mexiko Dem Grauen ein Gesicht geben
Präzisionsprobleme Bundeswehr sortiert Sturmgewehr G36 aus
Parallelen zur Cicero-Affäre MAD sollte Journalisten ausspähen
Heckler & Koch »Reputationsschaden muss korrigiert werden«
Kommentar: Abschied vom G36 - richtige Entscheidung
Sturmgewehr G36 »Das ist nicht mehr zu verantworten«