Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!
Unser eben gehörter Preisträger, Jürgen Grässlin, ist 57 Jahre alt. Mit seiner Frau Eva hat er zwei Kinder und lebt in Freiburg/Breisgau. Dort ist er an einer Realschule mit vollem Deputat und als Vertrauenslehrer tätig. Das hört sich wie eine ganz normale Lehrer-Biographie an. Aber Jürgen Grässlin ist mehr als ein engagierter Pädagoge.
Er ist ein großer Mutmacher in Zeiten des Unfriedens, ein Trotzalledem-Optimist in Zeiten der Kriege und ein Vorbild für alle, die sich, wie er, mit Leib und Seele für die Sache des Friedens einsetzen.
Er weiß, dass der humane Frieden die Voraussetzung ist für den weiteren Bestand unserer menschlichen Zivilisation, dass nur ein solcher Frieden unseren Blauen Planeten vor der völligen Zerstörung bewahren kann.
Biblisch gesprochen ist er - nach Matthäus 5 – ein selig zu nennender Friedensstifter und auch einer, der den Traum des Propheten Micha realisieren will, dass "die Menschen ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen und kein Volk gegen das andere das Schwert erheben wird und dass sie fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen".
Jürgen Grässlin ist aber auch in einer noch gar nicht so alten Tradition zu Hause. Bereits seit fünfzehn Jahren ist er einer der Bundessprecher der DFG-VK, der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner. Diese älteste deutsche Friedensorganisation ist von Alfred Hermann Fried und Bertha von Suttner im Jahre 1892 gegründet worden. Besonders Bertha von Suttner wurde durch ihr 1889 erschienenes Buch "Die Waffen nieder" weltberühmt. Ihr Appell – Die Waffen nieder – ist, man kann es kaum glauben, aktueller denn je.
Grässlin steht in Frieds und Suttners pazifistischer Tradition. Mehr als hundert Jahre danach lautet sein Motto: Die Waffen nieder, Rüstungsexporte stoppen, Rüstungsindustrie konvertieren. Er kämpft also gegen menschenverachtenden Waffenhandel und für die Umstellung auf eine nachhaltige zivile Fertigung.
Unermüdlich und ideenreich setzt er sich für die Sache des Friedens ein. Seit drei Jahrzehnten steckt er jeden Tag etliche Stunden an Zeit in sein Herzensanliegen, nämlich in verschiedenen Kampagnen den Kampf gegen die Rüstungsindustrie zu organisieren: gegen Heckler & Koch, gegen Daimler-Mercedes-Benz, gegen Airbus und viele weitere Rüstungskonzerne.
Um die dramatischen Folgen des Einsatzes deutscher Kriegswaffen aufzuzeigen, um den Opfern dieser Politik eine Stimme zu geben und um sein Ziel eine friedlichere und gerechtere Welt zu erreichen, hat er 2011 mit Freunden und Mitstreitern eine bislang einzigartige Kampagne ins Leben gerufen: ‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!' Nie zuvor in der Historie unseres Landes hat es eine so breit aufgestellte Kampagne gegen Rüstungsexporte gegeben. Wir wünschen dieser Kampagne größtmöglichen Erfolg!
Jahrelang wurde Jürgen Grässlin von der Rüstungsindustrie auf Unterlassung konzernkritischer Aussagen verklagt. Keine leichte Zeit, aber er hat alle Prozesse gewonnen. Seit 2010 geht Grässlin seinerseits mit juristischen Mitteln gegen die Exporteure des Todes vor. Er hat mehrere deutsche Waffenfirmen wegen des Verdachts illegalen Waffenhandels angezeigt. Mehrere staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren laufen, Hausdurchsuchungen sind erfolgt. Grässlin will die Verantwortlichen vor Gericht bringen. Vor allem die Oberndorfer Rüstungsschmiede Heckler&Koch, die die führende europäische Produzentin sogenannter ‚Kleinwaffen' ist. Mit keiner anderen Waffengattung werden mehr Menschen ermordet.
Seine Recherchen haben ergeben: Mit Heckler & Koch-Waffen sind bisher weltweit mehr als zwei Millionen Menschen erschossen worden und noch viel mehr verstümmelt und traumatisiert. Diese Firma, so unser Preisträger, macht sich der "Beihilfe des Massenmordes schuldig" – und mit ihr die Regierungspolitiker, die die Rüstungsexporte und die Lizenzvergaben zum Nachbau der H&K-Waffen genehmigen.
Noch passiert dem Unternehmen wenig, noch ermittelt die Staatsanwaltschaft – seit inzwischen viereinhalb Jahren. Heckler & Koch wird von einer gekauften Politik protegiert. Gleichzeitig verhöhnt sie ihre Kritiker mit dem Argument, sie zahle Steuern und biete vielen Menschen einen Arbeitsplatz.
Jürgen Grässlin hat mit den genannten Strafanzeigen und öffentlichen Auftritten auf Aktionärsversammlungen die Praktiken der ‚Händler des Todes' ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt.
Ein ganz besonderer Meilenstein auf dem Weg dieser Aufklärung über das schlimmste – weil tödlichste – Kapitel deutscher Regierungspolitik, ist sein 2013 erschienenes Werk "Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient". Auf über 600 Seiten nennt er darin die Profiteure des Rüstungswahns ‚Made in Germany' und die dafür verantwortlichen Politiker. In den sogenannten Täterprofilen werden Ross und Reiter genannt, wird aufgeführt, wer was wann genehmigt hat. An der Spitze seines Politikerrankings stehen mit Gerhard Schröder, Helmut Kohl und – auf Platz 1 – Angela Merkel die drei letzten Bundeskanzler unseres Landes.
Grässlins Vorwürfe sind durch Rüstungsrecherchen alle belegt und juristisch ‚wasserdicht'. Auch aus diesem Grund hat noch keiner der aufgeführten Politiker bzw. Manager gegen das Buch geklagt.
Und Jürgen Grässlin lässt in seinem Aufklärungsbemühen nicht locker und zieht durchs Land und hält Vortrag um Vortrag – bislang allein 87 Lesungen zu seinem "Schwarzbuch". Alle, die sich mit seinem Buch beschäftigen, kommen nicht um die Erkenntnis herum, dass der alte Spruch aus den sozialen Bewegungen stimmt, denn Jürgen Grässlin hat ihn akribisch und detailliert bewiesen: Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt.
Dass dem Morden mit deutschen Kriegswaffen und der Finanzierung der Rüstungsgeschäfte durch deutsche Banken ein Ende gesetzt wird, dafür kämpft er, dafür setzt er sich ein, dazu will er uns ermutigen. Immer wieder, heute und morgen und – ich bin mir sicher – auch übermorgen!
Den großen Bertolt Brecht zitierend, sagt uns Jürgen Grässlin, dass dessen Worte nach wie vor gelten: "Es ist nicht aussichtslos, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde. Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind. Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die die Hände zerschlagen werden."
Lieber Jürgen Grässlin, für dein überwältigendes Engagement sagen wir dir und auch deiner dich all die Jahre unterstützenden Ehefrau Eva ganz, ganz herzlichen Dank. Als Anerkennung deiner unermüdlichen Friedensarbeit und als Rückenwind für deine weiteren Aktivitäten verleihen wir dir heute unseren Kirchheimbolandener Friedenstagepreis.
# Überreichung der Urkunde #
Ganz zum Schluss - auch in deinem Sinne, möchte ich auf die derzeitigen Aktivitäten der Friedensbewegung hinweisen: Es finden unter dem Leitwort Friedenswinter 2014/2015 vielfältige Aktionen statt. Eine ganz große sind regionale Friedensdemonstrationen am kommenden Samstag, d.h. dem 13. Dezember 2014: und zwar in Berlin, in Leipzig, in Hamburg, in Bochum, in München und für unsere Region in Heidelberg. Wem immer es möglich ist, der nehme teil und setze so sein Zeichen für eine friedlichere und menschlichere Politik.
Von Helmut Schmidt, Kirchheimbolandener Friedenstage