Persönliche Betrachtung des Prozesses
von DaimlerChrysler und Zetsche versus Grässlin
am 31.08.2006 vor dem Landgericht Berlin



Persönliche Betrachtung seitens Jürgen Grässlin

1. Das Landgericht Berlin erweckt den Endruck, mit der Vielzahl von Verfahren völlig überlastet zu sein, die Verhandlungen werden im Halbstundentakt durchgezogen. Der Prozessbeginn war auf Donnerstag, den 31.08.2006 um 11.00 Uhr, terminiert. Als DaimlerChrysler-Anwalt Dr. Christian Schertz um 11.10 Uhr noch immer nicht anwesend war und sich die Richter längst etwas verärgert wartend zurückgezogen hatten, verwies die im Gerichtssaal noch anwesende Urkundsbeamtin darauf, dass der Daimler-Anwalt erfahrungsgemäß noch eintreffen werde. Um 11.13 Uhr kam Schertz und erklärte, er habe an einer Ampel 15 Minuten länger warten müssen. Der Prozess wurde verspätet eröffnet.´

2. Obwohl ich in Freiburg wohne und meine Aussagen bei einem Fernsehinterview in Freiburg getroffen habe, DaimlerChrysler und Herr Zetsche bekanntlich in Stuttgart ihren Sitz haben, darf sich der Konzern nach aktueller Rechtssprechung den ihm genehmen Gerichtstand in Deutschland - und dann wohl auch weltweit - aussuchen. Die Sendung des ARD-Kulturmagazins »titel thesen temperamente«, in der ich die untersagten Äußerungen traf, konnte in ganz Deutschland empfangen werden - so die rechtliche Begründung. Über Kabel und Satellit war der Empfang weltweit möglich. Das Gericht signalisierte meinem Rechtsanwalt Holger Rothbauer zu Prozessbeginn, dass ein Antrag auf Wahl eines anderen Gerichtsstands keine Aussicht auf Erfolg habe.

3. In mehreren Schriftsätzen hatte Rechtsanwalt Rotbauer ausführlich die Hintergründe und Rechercheergebnisse benannt, die mich zu meinem Vorwurf bezüglich der Verwicklung von Mercedes-Managern und -händlern in Graumarktgeschäfte und deren Aussagen vor dem Landgericht Stuttgart im Fall des Neudenauers Spediteurs Gerhard Schweinle veranlasst hatten. (Siehe hierzu Kapitel 5 und 6 in meinem Buch »Das Daimler-Desaster«.) Das Stuttgarter Landgericht hatte Schweinle und seinen Mitarbeiter Kai-Uwe Teich in einem Fehlurteil zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Bundesgerichtshof in Leipzig sprach Schweinle und Teich vom Vorwurf des Betrugs gegenüber DaimlerChrysler frei.

4. Die von mir in der Vergangenheit heftig kritisierte Geschäftspraxis der DaimlerChrysler AG, öffentlich Graumarktgeschäfte abzustreiten und diese - wie im Fall Schweinle nachgewiesen - zugleich aktiv zu betreiben, kam in dem Prozess so gut wie nicht zur Sprache. Dabei ist genau das der Kern des Sachverhaltes, um den es bei meiner streitgegenständlichen Äußerung geht.

5. In der knapp halbstündigen Verhandlung folgten die drei Richter dagegen von Anfang an der Argumentationslinie des Daimler-Rechtsanwalts Schertz, wonach meine Vorwürfe bezüglich der aktiven Verwicklung von Mercedes-Managern und -händlern in Graumarktgeschäfte, die ich in »titel thesen temperamente« konkretisiert hatte, missverstanden werden mussten. Im Mittelpunkt stand die Frage meiner Wortwahl, nicht aber die Hintergründe und der Wahrheitsgehalt meiner Vorwürfe gegenüber dem Konzern und Herrn Zetsche. Aus rechtlichen Gründen darf ich diese hier nicht näher erläutern, da sie als Wiederholung der mir untersagten Aussage bewertet werden könnten und ich dann ein Ordnungsgeld zu zahlen hätte.

6. Da es sich beim Prozess am 31.08.2006 vor dem Landgericht Berlin um die Hauptsacheverhandlung handelte, gingen Rechtsanwalt Rothbauer und ich davon aus, dass an einem zweiten Prozesstag die von uns benannten neun Zeugen vernommen werden würden - was der Prozessordnung entspräche. Zudem sollten unsere teilweise brisanten neuen Dokumente zur Sprache kommen. Am Nachmittag entschieden die Berliner Richter jedoch, dass KEINER der Zeugen vernommen werde. Auch ein von uns benannter Zeuge, der eine sogar notariell beurkundete Eidesstattliche Versicherung vorgelegt hat, in der er verschiedene führende Daimler-Vorstände der massiven Verwicklung in den o.g. Graumarktskandal aufzeigt, ist von den Richtern nicht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

7. Ohne auch nur einen einzigen «!» unserer Zeugen zu laden und augenscheinlich ohne die brisante Eidesstattliche Versicherung zu berücksichtigen, gab das Landgericht Berlin den Klägern statt und untersagte mir bei Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 Euro, meine Vorwürfe gegenüber dem Daimler-Vorsitzenden Zetsche zu wiederholen. Rechtsanwalt Rothbauer wird Berufung einlegen, damit wir vor der nächst höheren Instanz, dem Kammergericht Berlin, endlich die Zeugen zu Wort kommen lassen können, um den Wahrheitsgehalt meiner Äußerungen zu belegen.

8. In naher Zukunft werden wir die brisante Eidesstattliche Versicherung eines unserer Zeugen öffentlich publik machen und somit einen weiteren Beitrag zur Aufklärung des Graumarktskandals und des Fehlurteils des Landgerichts Stuttgart gegenüber Herrn Schweinle beitragen. Bis heute weigert sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Daimler-Chef Zetsche zu ermitteln, da nicht einmal ein Anfangsverdacht vorläge.