OBERNDORF, 21. Dezember (him) - Am Dienstagmorgen haben gut 20 Beamte der Staatsanwaltschaft Stuttgart die Räume der Firma Heckler & Koch in Oberndorf durchsucht. Hintergrund sind die mutmaßlich illegalen Waffenexporte des Unternehmens in vier Unruheprovinzen in Mexiko (die NRWZ berichtete mehrfach). Das Oberndorfer Unternehmen hat inzwischen die Durchsuchung bestätigt, allerdings die Vorwürfe erneut zurückgewiesen.
Man habe »zu keinem Zeitpunkt an irgendwelche mexikanischen Bundesstaaten geliefert«, teilte das Unternehmen mit. Heckler & Koch habe »vertragsgemäß und allen deutschen Behörden bekannt« ausschließlich an die gesetzlich vorgesehene mexikanische Waffeneinkaufsbehörde DCAM geliefert. Bei den weiteren Ermittlungen werde man mit den Behörden kooperieren.
Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft hat nun bestätigt, dass man dem Waffenhersteller vorwerfe, in die vier Bundesstaaten Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco G-36 Gewehre geliefert zu haben, obwohl diese vier Staaten ausdrücklich von der Ausfuhrgenehmigung ausgeschlossen waren. Am 19. November hatte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart, Claudia Kraut, auf Nachfrage der NRWZ zu einem Bestätigungsbrief aus Jalisco, wonach HK-Mitarbeiter die dortige Polizei im Umgang mit dem G-36 geschult haben, erklärt, davon wisse sie nichts.
Am Mittwoch berichtet die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart Claudia Kraut auf Nachfrage der NRWZ, dass neben dem zuständigen Staatsanwalt gut 20 Beamte, überwiegend vom Zoll, an der Durchsuchung beteiligt waren. Die Zollbeamten sind spezialisiert auf derartige Verfahren, bei denen es um Verstöße gegen Ausfuhrbestimmungen geht. Ein Amtsrichter habe den Durchsuchungsbeschluss erlassen, da ein Tatverdacht bestehe.
Die Durchsuchung habe nicht schon früher stattgefunden, weil »so etwas muss man planen und vorbereiten.« Die Anzeige liegt der Staatsanwaltschaft bereits seit April vor. Staatsanwältin Kraut geht davon aus, »dass wir fündig geworden sind.« Näheres wolle sie mit Blick auf die laufenden Ermittlungen aber nicht ausführen.
Das Unternehmen aus Oberndorf kritisiert nun laut SWR die Staatsanwaltschaft in Stuttgart: Diese habe die Vorwürfe weder in der gesetzlichen Form konkretisiert noch Akteneinsicht gewährt. Dazu betont Staatsanwältin Kraut, die Vorwürfe seien konkret genug gemacht worden, sonst hätte der Richter den Durchsuchungsbeschluss nicht unterschrieben.
Als die NRWZ im August über diese Vorwürfe berichtete, hatte der Geschäftsführer Peter Beyerle sie als »absurd« zurückgewiesen und erklärt, er erfahre von der NRWZ zum ersten Mal von diesen Vorwürfen. Im Übrigen sei Mexiko als Markt für HK »völlig unbedeutend.« Am 29. November war Peter Beyerle nicht mehr für die Medien zu sprechen.
Stattdessen hatte man die internationale PR Agentur apco-worldwide eingeschaltet. Deren Deutschland-Chefin Martina Tydecks beantwortet seither Presseanfragen. Eine ihrer Spezialgebiete ist kommunikatives Krisenmanagement, wenn Unternehmen sich von außen angegriffen fühlen. Vor wenigen Tagen hat Beyerle nun angekündigt, er wolle zum Jahresende aus Altergründen aus seinem noch laufenden Fünf-Jahresvertrag als Geschäftsführer ausscheiden.
Von NRWZ online angesprochen, wollte Martina Tydecks die Durchsuchungsaktion nicht kommentieren und verwies auf eine offizielle Stellungnahme, die sie noch verschicken wollte. Diese ist um 20.59 eingetroffen. Wir dokumentieren sie im Wortlaut:
»Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat am 21.12.2010 die Geschäftsräume der Heckler & Koch GmbH in Oberndorf durchsucht. Dabei geht es um Ausfuhr von Gewehren nach Mexiko seit 2005, den tatsächlichen Endverbleib der Waffen und die Kenntnisse der Beteiligten dazu.
Heckler & Koch hat seit langem und wird weiterhin in vollem Umfang mit der Staatsanwaltschaft kooperieren. Das Unternehmen und seine Geschäftsleitung ist davon überzeugt, dass die Vorwürfe einer genauen juristischen Prüfung nicht standhalten. Heckler & Koch hält sich an Recht und Gesetz der Bundesrepublik Deutschland. Vor diesem Hintergrund begrüßt Heckler & Koch die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft, da vom Anzeigenerstatter bisher nur einseitige Informationen über mediale Kanäle verbreitet wurden.
Heckler & Koch hat zu keinem Zeitpunkt an irgendwelche mexikanischen Bundesstaaten geliefert. Sie liefert vertragsgemäß und allen deutschen Behörden bekannt ausschließlich an die dafür gesetzlich vorgesehene Waffeneinkaufsbehörde (D.C.A.M.), welche dem mexikanischen Verteidigungsministerium untersteht. Dem Bundesministerium der Wirtschaft als zuständiger Genehmigungsbehörde wurden immer alle Unterlagen im Rahmen der Exportkontrolle vorgelegt. An deren Richtigkeit besteht bei Heckler & Koch kein Zweifel.«
Um 22.07 Uhr erreichte uns eine zweite Presseerklärung:
Nach der Hausdurchsuchung der Staatsanwaltschaft Stuttgart bei Heckler & Koch wegen G36-Gewehrlieferungen nach Mexiko melden sich drei Organisationen mit einer gemeinsamen Pressemitteilung: die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner/innen (DFG-VK), das RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.) und das Deutsche Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben.
Wir dokumentieren auch diese Erklärung zur »Hausdurchsuchung in den Geschäftsräumen von Europas größtem Gewehrhersteller« im Wortlaut:
Auslöser ist die Strafanzeige von Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Bereits im April 2010 hatte Grässlins Rechtsanwalt Holger Rothbauer aus Tübingen die Strafanzeige gegen mehrere H&K-Geschäftsführer und hochrangige Mitarbeiter wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) gestellt.
Noch bestreitet Heckler & Koch die Vorwürfe, G36-Sturmgewehre verbotenerweise in die mexikanischen Unruheprovinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero geliefert und dort Polizeien an den Waffen ausgebildet zu haben. Die Sturmgewehre habe man genehmigter Weise lediglich an die staatliche Waffeneinkaufsbehörde D.C.A.M. nach Mexiko-Stadt verbracht.
»Die Abwiegelungen des Unternehmens halten der Faktenlage nicht stand, denn die Indizienlage ist erdrückend«, erklärte Anzeigeerstatter Jürgen Grässlin. »Ein Insiderbericht erbringt die Hinweise über den Weg der Waffen: Mittels Bestechung des damals zuständigen mexikanischen Generals Aguilar bei der D.C.A.M sollen die G36 von Mexiko-Stadt in die Unruheprovinzen gelangt sein.« Zudem »wurden in der Unruheprovinz Jalisco Polizisten drei Tage lang G36-Gewehre vorgeführt und dann Beschussübungen vorgenommen. Dies geschah definitiv im November 2008, als dies eindeutig verboten war.«
Auch Rechtsanwalt Holger Rothbauer lässt keine Zweifel aufkommen: »Wir haben das Dankesdokument der Polizeibehörde für die G36-Vorführung in der Unruheprovinz Jalisco vor wenigen Tagen der Staatsanwaltschaft Stuttgart zukommen lassen.« Des Weiteren lägen »umfassende Aussagen eines Insiders zu den Gewehrlieferungen und zur Polizeiausbildung auch in den verbotenen Unruheprovinzen vor.
»Zusammen mit den nunmehr hoffentlich seitens der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Reisekosten- und Hotelabrechnungen der H&K-Mitarbeiter und des H& K-Vertreters von LAMAR vor Ort lässt sich der hinreichende Tatverdacht des Verstoßes gegen das KWKG und das AWG so belegen«, erklärte Rechtsanwalt Rothbauer, »dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Verantwortlichen bei H&K erheben sollte.«