Aufrüstung und Militarisierung
im Schatten der Corona-Pandemie



Waffenschmieden nutzen die Konzentration
des öffentlichen Interesses auf COVID-19,
um ungehemmt Kriegsgerät zu produzieren und zu exportieren

Von Jürgen Grässlin

Im ersten halben Jahr der globalen Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus ist zweierlei offenbar geworden: Einerseits wird weltweit der Mangel an Geldern für das Gesundheitswesen beklagt, andererseits verfügen Militärs und Rüstungsmanager über Geldsummen wie seit Zeiten des Kalten Krieges nicht mehr.
Nahezu zeitgleich mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Dezember 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan knallten die Champagnerkorken in den Chefetagen von Verteidigungsministerien, Militärkasernen und Rüstungskonzernen in den reichen Industriestaaten. Denn die Militärausgaben in aller Welt waren 2019 auf unglaubliche 1.917.000.000.000 US-Dollar (USD) gesteigert worden.[#1]
Selten zuvor wurde offenbar, wir wahr die Erkenntnis ist: Geld ist genug da, es wird nur völlig falsch verteilt. Und selten zuvor wurde Menschen in aller Welt derart klar vor Augen geführt, dass forcierte Milliardeninvestitionen in Militär und Rüstung und fehlende Gelder im Gesundheitsbereich zwei Seiten einer Medaille sind.

Die Bundesregierung bewilligt Rüstungsexporte auf Rekordniveau

Weltweit wurden 2019 die Militärausgaben um 3,6 Prozent angehoben, schlimm genug. Noch negativer verlief die Entwicklung hierzulande. Im weltweiten SIPRI-Vergleich stieg Deutschland, wohlgemerkt als einziges Land unter den Top 15, gleich um zwei Plätze – von Rang 9 auf 7. Mit Investitionen in Höhe von 49,3 USD steigerte die Große Koalition von CDU, CSU und SPD das Volumen der Militärausgaben in nur einem Jahr (von 2018 auf 2019) um zehn Prozent, berechnet auf den Zehnjahres-Zeitraum von 2010 bis 2019 gar um 15 Prozent.
Vergleichbar wüst sind die Werte beim Waffenhandel. Laut Fünf-Jahres-Bericht von SIPRI wurde Deutschlands Exportwert für Großwaffensysteme (Kampfflugzeuge, Militärhelikopter, Kriegsschiffe, Kampfpanzer etc.) für den Zeitraum von 2015 bis 2019 (im Vergleich zu 2010 bis 2014) von der christlich-sozialen Koalition sogar um 17 Prozent gesteigert. Auch hier der Vergleich: Weltweit wurde das Volumen um weitere 5 Prozent angehoben.[#2]
Auch wenn der finale Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2019 noch nicht vorliegt, ergeben die regierungsamtlichen Antworten auf Bundestagsanfragen von LINKEN und Grünen ein klares Bild: Die Kriegswaffenexport-Genehmigungen katapultierten Deutschland 2019 auf den neuen Negativrekord von rund acht Milliarden Euro, bei einer Steigerung um 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr.[#3]
Die Hauptempfänger deutscher Kriegswaffen sind der EU- und Nato-Partner Ungarn genehmigt mit rund 1,77 Milliarden Euro, Ägypten mit 802 Millionen Euro und die USA mit 483 Millionen Euro (Stand Dezember 2019). Ungarn erhält umfassend Kriegswaffen trotz seiner rechtswidrigen Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge. Die ägyptische Militärregierung wird mit deutschen Kriegswaffen hochgerüstet trotz seiner Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen im Jemen Krieg. Die USA werden mit deutschem Kriegsgerät beliefert trotz deren militärischen Interventionen und Menschenrechtsverletzungen im Afghanistan- und im Syrien-Krieg sowie deren Unterstützung der Jemen-Aggressoren Saudi-Arabien und Ägypten – um pars pro toto drei Länderbeispiele zu nennen.

Vom Wohlergehen der deutschen Rüstungsindustrie auch in Corona-Zeiten

Diese Open-Border-Politik der Bundesregierung im Rüstungsexportbereich zeitigt Folgen. Einmal mehr verdanken wir SIPRI eine weitere Erkenntnis, wenn auch keine erfreuliche. Das alljährlich publizierte SIPRI-Ranking der TOP 100 der rüstungsexportierenden Unternehmen für Großwaffensysteme verzeichnet in seiner aktuellen Ausgabe vom Dezember 2019 (für 2018) vier rein deutsche Unternehmen: Rheinmetall auf Platz 22 (im Vorjahr 26), Krauss-Maffei Wegmann auf Platz 55 (im Vorjahr 58), sowie ThyssenKrupp und Hensoldt. Ergänzt werden müssen Unternehmen mit starker deutscher Beteiligung, wie die Airbus Group auf Platz 7 und die Airbus-Beteiligungsgesellschaft MBDA auf Platz 23.[#4]

Kriegsprofiteur Rheinmetall

Der führende deutsche Großwaffenproduzent Rheinmetall steigerte seine Rüstungsexporte gegenüber dem Vorjahr um weitere 4,1 Prozent von 3,65 Milliarden USD (2017) auf 3,80 Milliarden USD.[#5] Die Kennzahlen von RHEINMETALL DEFENCE schnellten auch im Geschäftsjahr 2019 in die Höhe. So konnte die Rüstungsparte Zuwächse vermelden beim Operativen Ergebnis von 254 auf 343 Millionen Euro, beim Umsatz von 3,2 auf 3,5 Milliarden Euro und beim Auftragsbestand von 8,5 auf 10,4 Milliarden Euro (von 2018 auf 2019).
Bei seiner ersten virtuellen Hauptversammlung (HV) am 19. Mai 2020 verkündete die Rheinmetall AG neben der rein monetär betrachtet positiven Unternehmensbilanz eine Dividendenerhöhung auf den Rekordwert (von vormals 2,10 Euro) auf 2,40 Euro pro Aktie.[#6] Doch Waffengeschäfte, die für Aktionär*innen profitabel sind, enden für Zivilist*innen in Kriegsgebieten vielfach tödlich – so die Saudi-Arabien-Deals von Rheinmetall-Beteiligungsgesellschaften.
Zu Recht monierte der Dachverband der Kritischen Aktionär*innen in Köln auf der HV, dass der Konzern weiterhin auf Waffentransfers in Kriegsgebiete setzt. Konsequenter Weise forderte der Dachverband in einem Brief an Investoren, dass diese ihre Investitionen aus Rheinmetall abziehen sollen. Eine Kritik am Rheinmetall-Geschäftsmodell, die durch die virtuelle Übertragung der Hauptversammlung stark erschwert wurde.[#7]

Kriegsprofiteur Heckler & Koch

Auch beim führenden deutsche Hersteller und Exporteur von Kleinwaffen herrscht derzeit eine gute Stimmung. In einer Pressemitteilung vom Mai verkündete die Geschäftsführung von Heckler & Koch (H&K), das Unternehmen sei »zurück in der Gewinnzone«. So war der Umsatz von 220,9 Millionen Euro (2018) um acht Prozent auf 239,4 Millionen Euro gestiegen. Das operative Ergebnis lag vor Steuern bei 30,3 Millionen Euro – beachtliche 63 Prozent höher als im Jahr zuvor.
Die Auftragsbücher seien gut gefüllt. Neben den französischen Streitkräften werden 2020 das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr sowie Marine-Spezialkräfte das neue Sturmgewehr vom Typ HK 416 A7 erhalten. Der Ausblick für 2020 sei »trotz der Corona-Pandemie verhalten optimistisch«.
Bei den Hauptversammlungen stelle sich das Unternehmen »der Debatte mit seinen Aktionäre, insbesondere den ‚kritischen Aktionären‘.»Die Resultate dieses Dialogs sind unter anderem in den Ethik- und Verhaltenskodex eingeflossen.« Ein »weiterer Faktor für den positiven Trend bei H&K ist die ‚Grüne-Länder-Strategie‘.«
Gemäß dieser Strategie exportiere H&K fortan ausschließlich Waffen an NATO-Staaten, NATO-assoziierte Staaten und EU-Staaten.[#8] Keine Frage, angesichts der dramatischen Firmenhistorie mit zahlreichen Kriegswaffenlieferungen an menschenrechtsverletzende und kriegsführende Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika ist dies ein Schritt in die richtige Richtung.
Zentral muss für H&K die selbstgesetzte Vorgabe sein, Waffen »ethisch vertretbar« und unter Berücksichtigung der ‚Menschenrechtslage im Empfängerland‘ zu exportieren. Noch aber sieht die Realität der H&K-Waffenexporte vielfach anders aus: Der NATO-Partner USA führt mit Kleinwaffen vom Oberndorfer Lindenhof völkerrechtswidrige Kriege.
Sollte H&K tatsächlich ethische Grundsätze bei Rüstungsexporten zur Grundlage erheben, dann müsste das Unternehmen die Revision beim Bundesgerichtshof gegen das Mexiko-Urteil aufgrund meiner Strafanzeige sofort zurückziehen und die 3,7 Millionen Euro Strafe klaglos zahlen. Denn Umsätze und Gewinne aus dem illegalen G36-Mexiko-Deal wurden höchst unethisch erwirtschaftet. Zahlreiche Menschen verloren und verlieren in den illegal belieferten vier mexikanischen Unruheprovinzen ihr Leben aufgrund dieses widerrechtlichen und moralisch verwerflichen G36-Waffengeschäftes.
Die Friedensbewegung und mit ihr die Kritischen Aktionär*innen müssen wachsam bleiben.

Breite Debatte über die sinnvolle Verwendung der Gelder

Was bleibt zu tun? Lasst uns die Strafanzeigen des ECCHR und von Linken unterstützen, die die Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen und Morden juristisch angehen. Lasst uns den Offenen Brief von Greenpeace und der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!« und zahlreicher weiterer Organisationen unterstützen, die nachdrücklich einen völligen Stopp aller Kriegswaffenexporte der Jemen-Kriegsallianz fordern.
Lasst uns mit dem GLOBAL NET weltweit aufzeigen, wohin grenzenlos Waffen exportiert werden. Und lasst uns den Tätern Name und Gesicht und den Opfern eine Stimme geben. Lasst uns vor den Werktoren skrupelloser Waffenschmieden blockieren und vor Bundestag und Bundeskanzleramt demonstrieren gegen die Machenschaften der Rüstungsexport- und Kriegslobbyisten.
Und lasst uns die Chance nutzen, die sich mit einer breiten gesellschaftlichen Diskussion gerade in der Zeit der Corona-Krise eröffnet. »Unser Feind ist ein Virus. Sind die Rüstungspläne der Bundeswehr noch sinnvoll und bezahlbar? Linke, Grüne und der SPD-Fraktionschef bezweifeln es«, titelt die Süddeutsche Zeitung.[#9] Die Friedensbewegung bezweifelt es schon lange. Was wir brauchen sind Medikamente und Abrüstung, nicht Militarisierung und Aufrüstung durch neue Kampfflugzeuge. »Abrüsten statt Aufrüsten« fordert unsere Kampagne.

Jürgen Grässlin
ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!« und der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD), Mitbegründer der Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch (KA H&K) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).
Zuletzt initiierte Grässlin beim RIB e.V. das GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT) als ein weltweites Netzwerk gegen Waffenhandel, das Rüstungsexportskandale recherchiert und in mehreren Weltsprachen publiziert.

Weitere Informationen
siehe www.dfg-vk.de, www.gn-stat.org, www.rib-ev.de, www.aufschrei-waffenhandel.de, www.juergengraesslin.com, http://www.kritischeaktionaere.de/ und https://abruesten.jetzt/

Quellen
[#1] Fact Sheet »TRENDS IN WORLD MILITARY EXPENDITURE, 2019”
siehe https://www.sipri.org/sites/default/files/2020-04/fs_2020_04_milex_0_0.pdf
[#2] »Crises are fueling the global arms trade: SIPRI report” in DEUTSCHE WELLE INTERNATIONAL vom 09.03.2020
[#3] »Bilanz für 2019. Bundesregierung genehmigt so viele Rüstungsexporte wie noch nie« in SPIEGEL online vom 27.12.2019
[#4] »THE SIPRI TOP 100 ARMS-PRODUCING AND MILITARY SERVICES COMPANIES, 2018”, SIPRI Fact Sheet, December 2019
[#5] Geschäftsbericht RHEINMETALL GROUP 2019, siehe »Kennzahlen 2019«
https://ir.rheinmetall.com/download/companies/rheinmetall/Annual%20Reports/DE0007030009-JA-2019-EQ-D-01.pdf
[#6] siehe Handelsblatt zur Rheinmetall-Hauptversammlung 2020
https://www.Handelsblatt.com/finanzen/maerkte/aktien/hauptversammlungen/rheinmetall-hauptversammlung-2020-wie-viel-dividende-bringt-die-rheinmetall-aktie/21184376.html
[#7] Pressemitteilung des Dachverbands der Kritischen Aktionär*innen, Köln, vom 18.05.2020: »Kritik an todbringenden Geschäften erschwert«, siehe
http://www.kritischeaktionaere.de und »Türkische Luftbrücke für Munition aus Südafrika« von Otfried Nassauer, BITS, siehe http://www.bits.de/public/unv_a/original-040520.htm
[#8] »Kritische Unternehmenschronik Heckler & Koch. Wie H&K und Bundesregierungen durch hemmungslose Kleinwaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten Tod und Traumatisierung von Millionen Menschen in aller Welt mitverantworten (Langfassung)« im GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE https://www.gn-stat.org/deutsch/unternehmen/heckler-chronik-deu/
[#9] »Unser Feind ist ein Virus« in Süddeutsche Zeitung vom 26.05.2020