Interview »Ich gehe weiter gegen DaimlerChrysler vor«
in junge welt vom 02.09.2006



»Ich gehe weiter gegen DaimlerChrysler vor«

Der Weltkonzern versucht per Gericht, einen Kritiker kleinzukriegen.
Ein Gespräch mit Jürgen Grässlin

Jürgen Grässlin ist Autor des Buches »Das Daimler-Desaster«

Ihr DaimlerChrysler-Buch war im Februar und März 2006 Spitzenreiter in den Bestsellerlisten der Fachpresse, sehr zum Mißfallen der Konzernzentrale in Stuttgart, die gegen Sie prozessiert. Was hat man gegen Ihr Werk?

Das Buch beschreibt einerseits die diversen Fehlentscheidungen des Konzernvorstands in den letzten zehn Jahren unter der Regentschaft von Jürgen E. Schrempp. Zum anderen sind die beiden Kapitel hochbrisant, in denen ich die Graumarktgeschäfte des Konzerns am Fall des Neudenauer Spediteurs Gerhard Schweinle exemplarisch beschreibe. Dabei geht es darum, daß der Konzern mit der EU eine Sonderregelung ausgehandelt hat, die ihm garantiert, daß seine Neufahrzeuge ausschließlich über die Mercedes-Niederlassungen und -händler vertrieben werden dürfen. Im Gegenzug hatte man sich verpflichtet, daß Daimler¬Chrysler seinerseits seine Fahrzeuge nicht an freie Händler verkaufen würde.

Was ist das Schlimme an diesen Graumarktgeschäften?

Eigentlich sind sie in der EU erwünscht, denn die Kunden profitieren davon, daß sie Rabattvorteile nutzen können. DaimlerChrysler hat hingegen eine Ausnahmeregelung erwirkt, was für den Konzern den Vorteil bringt, daß er die Preise über seine Niederlassungen selbst bestimmen kann. Für den Käufer hat das Nachteile, weil bei freiem Handel die Preise sicherlich niedriger wären.

Und weshalb wurden dann doch Fahrzeuge an freie Händler verkauft?

Von 1997 bis 2004 hatte der Konzern mehr als 100 000 Fahrzeuge auf Halde oder in Showrooms stehen. Die wollte man unbedingt loswerden. Spediteur Schweinle wurde anfangs von Daimler als Graumarkthändler genutzt. Später hat man ihn mit einem Strafverfahren überzogen und vor dem Stuttgarter Landgericht eine vierjährige Haftstrafe erwirkt. Mehrere Mercedes-Manager, darunter auch der damalige Vertriebsvorstand und heutige Vorsitzende Dieter Zetsche, hatten vor Gericht gegen Schweinle ausgesagt. Zweieinhalb Jahre seiner Strafe hat Schweinle in Einzelhaft in Stuttgart-Stammheim abgesessen, in einem Gefängnis, das nachweislich asbestverseucht ist. Dann hat der Bundesgerichtshof in Leipzig ihn im Frühjahr 2004 vom Vorwurf des Betrugs gegen den Konzern freigesprochen.

Das Brisante an dem Vorfall ist, daß der DaimlerChrysler-Vorstand immer behauptet hat, man würde gegen Graumarktgeschäfte vorgehen. Gleichzeitig arbeitete aber in der Unternehmenszentrale der Schweinle-Gruppe ein Verbindungsmann des Konzerns, um Graumarktgeschäfte zu betreiben. Uwe Brandenburg war Mitarbeiter des DaimlerChrysler-Werks in Rastatt und bei Schweinle unter dem Pseudonym Herr Simon tätig.

Und weil man sich ertappt fühlt, bemüht man jetzt auch gegen Sie die Gerichte?

Das Buch konnte man nicht verhindern. Nachdem wir ein paar unbedeutende Änderungen vorgenommen haben, war es unangreifbar. Deshalb versucht man jetzt, mich persönlich anzugehen. Aufhänger war eine Äußerung von mir, mit der ich im ARD-Kulturmagazin »titel thesen temperamente« Verantwortliche benannt hatte.

Vorgestern, am Donnerstag, trafen wir uns vor Gericht in Berlin. DaimlerChrysler und der amtierende Vorsitzende Zetsche klagten auf Unterlassung meiner Äußerungen und bekamen Recht. Seitens der Richter war das ein krasses Fehlurteil. Denn obwohl im Hauptsacheverfahren Zeugen gehört werden müßten, wurde kein einziger der neun von uns benannten Zeugen gehört, die meine Aussagen bestätigt hätten. Einer der Zeugen hatte sogar eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, die reichlich Sprengstoff enthält, da sie weit über meine Aussagen hinausgeht. In dieser Erklärung werden auch die Namen aus der DaimlerChrysler-Führungsebene benannt, die im Fall Schweinle über einen Autohändler in Mosbach massiv auf dessen Graumarktgeschäfte Einfluß genommen haben sollen. Wir werden diese Erklärung demnächst veröffentlichen. Außerdem werden wir natürlich das Fehlurteil in der nächsten Instanz anfechten.

Interview: Wolfgang Pomrehn