Zur Übersicht
Zu Aktuelles
Interview zum Kürzungsprogramm bei Chrysler
»Die Welt-AG DaimlerChrysler ist gescheitert«
|
Fatale Vorliebe für Spritschlucker?
DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetsche
|
Bei ihrer Fusion sprachen Daimler und Chrysler von einer Hochzeit, die im Himmel gestiftet wurde. Acht Jahre danach kündigt Daimler bei Chrysler
harte Schnitte an - 13.000 Stellen sollen gestrichen, ein ganzes Werk geschlossen werden. Selbst eine Trennung schließt man in Stuttgart nicht mehr aus.
Muss Daimler seinen Traum von der Welt-AG endgültig begraben? tagesschau.de sprach darüber mit dem Daimler-Experten und Buchautor Jürgen
Grässlin
tagesschau.de: Bedeutet die Ankündigung der Stellenstreichung und Werkschließung das Eingeständnis: Der Traum vom »Weltkonzern« ist
ausgeträumt?
Jürgen Grässlin: Die Vision von der Welt-AG ist mit dem Chrysler-Desaster und dem vorherigen Mitsubishi-Desaster endgültig gescheitert. Beides
hat den Konzern Abermilliarden Euro gekostet. Wenn der Vorstand der DaimlerChrysler AG jetzt nicht endlich den überfälligen Beschluss fast, aus Chrysler
auszusteigen, dann geht das Desaster weiter und wird weitere Milliarden an Aktionärsgeldern verschlingen.
|
Zur Person: Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler und hat mehrere Bücher über den Konzern verfasst.
Bundesweite Beachtung fand vor allem seine Biographie des früheren Vorstandschefs Jürgen Schrempp
|
tagesschau.de: Daimler will alle Optionen im Umgang mit Chrysler prüfen. Ist damit der Verkauf des amerikanischen Unternehmens nur noch eine
Frage der Zeit?
Grässlin: So müsste es sein. Ich vermute aber, dass sich Vorstandschef Dieter Zetsche mit aller Macht an Chrysler klammern wird. Denn mit
dem Verkauf der Abteilung Chrysler wäre das Eingeständnis verbunden, dass er in seiner fünfjährigen Amtszeit als Chrysler-Chef auf die falschen Fahrzeuge
gesetzt hat und restlos gescheitert ist. Deshalb halte ich Zetsches Vorgabe, vermeintlich ,alle Optionen' prüfen zu wollen, für eine leere Worthülse, mit
der man Aktionäre und Investoren ruhig stellen will.
»Mit Volldampf Richtung Abgrund«
tagesschau.de: Woran ist die Welt-AG gescheitert und was sind die entscheidenden Probleme bei Chrysler?
|
Sprach bei der Fusion von einer
»Hochzeit, die im Himmel gestiftet
wurde«: Jürgen Schrempp
|
Grässlin: Zetsche-Vorgänger Jürgen Schrempp wollte Daimler zur Nummer eins auf dem Automarkt machen. Unter seiner Ägide aber ist Daimler mit
dafür ungeeigneten Unternehmen zusammengegangen. Mitsubishi war marode und Chrysler hatte eine falsche Produktpalette. Nicht erst seit heute wissen wir, dass
Mitsubishi die schlechteste aller Optionen für den asiatischen Markt war. Das Chrysler-Desaster zieht sich schon acht Jahre hin und hat allein 2006 einen
Verlust von 1,1 Milliarden Euro beschert. Wenn man jetzt nicht endlich die Reißleine zieht, fährt der Daimler-Zug mit Vollgas in Richtung Abgrund und wird
die Mercedes Car Group mitreißen. Deshalb muss die Devise jetzt lauten: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
tagesschau.de: Welche Fehler hat Zetsche gemacht?
Grässlin: Zetsche muss sich fragen lassen, wie er es schaffen will, mit immer weniger Beschäftigten immer bessere Autos zu bauen. Die Strategie
der Massenentlassungen und Werkschließungen bei gleichzeitig notwendiger Qualitätssteigerung der Fahrzeuge ist gescheitert. Er muss sich auch den Vorwurf
gefallen lassen, bei Chrysler auf überdimensionierte, spritfressende Dinosaurier gesetzt zu haben anstatt auf den Ökotrend zu setzen. Im Gegensatz zu
DaimlerChrysler hat sich Toyota mit dem Hybrid-Motor perfekt im US-Markt positioniert.
»Überleben nur mit Öko-Strategie«
tagesschau.de: Ist eine Öko-Strategie für einen Anbieter im oberen Marktsegment tatsächlich der richtige Weg?
Grässlin: Wer den Ökotrend verschläft, wird nicht überleben. Die High-Society in den USA fährt bewusst den Toyota Prius und setzt damit
Zeichen angesichts der drohenden Klima-Katastrophe. Wenn Daimler und Chrysler weiter glauben, mit PS-protzenden Fahrzeugen den Weltmarkt erobern zu können,
wird der Gesamtkonzern das Schicksal von Chrysler teilen - mit katastrophalen Folgen für die Beschäftigen und die Aktionäre.
tagesschau.de: Andererseits sollen die Daimler-Arbeiter eine satte Gewinnbeteiligung bekommen. Ganz so schlecht scheint es dem Konzern
also nicht zu gehen.
Grässlin: Vermutlich wird Daimler den Aktionären sogar die gleiche Dividende wie im Vorjahr auszahlen, wenn nicht sogar eine höhere.
Damit will man sich auf der kommenden Hauptversammlung vor der dringend gebotenen Kritik schützen und notwendige Entscheidungen auf die lange Bank schieben.
Gewinnbeteiligungen und Dividenden dienen dann als Barbiturate für die Beschäftigten und das Aktionärsvolk.
tagesschau.de: Würde sich Daimler nicht durch eine Trennung von Chrysler im globalen Wettbewerb schwächen und damit zum Übernahmekandidaten
werden?
Grässlin: Im Gegenteil - der Verkauf von Chrysler würde die Cash-Cow Mercedes zu alter Stärke zurückführen, denn die Übernahme von Chrysler
war gerade finanziell ein Fehlschlag. Der Wert des Unternehmens hat sich seit der Übernahme 1998 nahezu halbiert. Daimler muss sich schnellstmöglich von
Chrysler trennen, um Arbeitsplätze zu sichern, die Fahrzeugqualität zu steigern und das Image der Mercedes Car Group zu retten. Wenn das nicht geschieht
und man stattdessen gar einen Marken- und Produktmix anstrebt, beschädigt dies die Qualität der Mercedes-Fahrzeuge und zugleich das Image der Marke Mercedes.
Ein weiteres Qualitätsdesaster aber darf sich Daimler nach 2005 nicht ein zweites Mal leisten.
Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de