Interview mit JG »Der Tod ist ein Meister vom Bodensee«
in der Internetzeitung SeeMoz vom20.09.2010



Der Tod ist ein Meister vom Bodensee

[Foto JG mit selbst gemalten Acrylbild von Salvador Dalí)

Deutschlands prominentester Rüstungsgegner kommt nach Konstanz. Jürgen Grässlin wird am 28. September über die vielfältigen Aktivitäten der deutschen Rüstungsindustrie – und besonders der am Bodensee – informieren. Und da gibt es viele: EADS in Friedrichshafen, Diehl in Lindau und Überlingen, Mowag in Kreuzlingen: Tausende von Arbeitsplätzen aus der Region sind dem Geschäft mit dem Tod verschrieben. Eine Woche vor seinem Vortrag sprachen wir mit Jürgen Grässlin

In einer kürzlich gesendeten Reportage von Deutschland Radio Kultur wird über Deinen jüngsten Auftritt bei der Hauptversammlung der European Aeronautic Defence and Space Company EADS N.V. in Amsterdam berichtet. Dort übtest Du als EADS-Aktionär und einer der Sprecher der ‘Kritischen AktionärInnen Daimler’ heftige Kritik an den Rüstungsexporten des Unternehmens, das ja auch Rüstungswaffen in Friedrichshafen am Bodensee herstellt…

Über ihre Aktienanteile ist die Daimler AG größter Anteilseigner der European Aeronautic Defence and Space Company. Die Produktpalette der EADS reicht von Kampfflugzeugen über Militärhubschrauber bis hin zu Atomwaffenträgersystemen. Im Übrigen ist die EADS der einzige Rüstungskonzern in Europa, der derart menschenverachtende Waffensysteme wie Atomwaffenträger herstellt. Mercedes selbst ist Europas führender Produzent und Exporteur von Militärfahrzeugen. So lieferte der Konzern in der Vergangenheit wiederholt Waffensysteme und Militärfahrzeuge an Scheindemokraten und Diktatoren. Seit 2009 läuft – um nur ein Beispiel von vielen zu nennen – die Auslieferung von 72 Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter an das menschenrechtsverletzende Regime in Saudi-Arabien. Dass der Nahe Osten eine Krisenregion ist, in der jederzeit neue Kriege ausbrechen können, weiß jeder. Im Übrigen entwickelt die EADS am Bodensee u.a. Drohnen, also die führenden Waffensysteme kommender Kriege.

Der Spiegel bezeichnete Dich als ‘Daimlers schärfsten Widergänger’ und ‘Deutschlands prominentesten Rüstungsgegner’. Dieser wohl verdiente Ruf hat Dir zahlreiche Prozesse eingebracht und Dich viel Geld gekostet.

Ja, das stimmt. Jürgen Schrempp und Dieter Zetsche, der frühere und der heutige Daimler-Vorsitzende, haben mich gemeinsam mit dem Konzern im Jahr 2005 mit Zivilverfahren überzogen. Im Zetsche-Prozess bin ich ausgestiegen, da mir das Finanzrisiko zu hoch war. Zetsche reagierte daraufhin mit einer Schmerzensgeldforderung in Höhe von 50.000 Euro. Dem setzte ich die Forderung entgegen, er solle besser einen Fonds für die Opfer der Daimler-Rüstungsexporte gründen. Gut, dass ich den Schmerzensgeldprozess gegen Zetsche gewonnen habe, ansonsten wäre ich finanziell platt gewesen. Denn der Prozess hat mich mehrere zehntausend Euro gekostet.

Und der Prozess seitens Jürgen Schrempp und Daimler gegen Dich?

Beim Schrempp-Prozess ging es vordergründig um Aussagen, die ich am 28. Juli 2005 live im Studio der Landesschau des SWR-Fernsehens gemacht hatte. Daimler verkündete an diesem Tag Schrempps Rücktritt für Ende 2005. Ich hatte auf die Frage des SWR-Moderators über Schrempps mögliche Rücktrittsgründe gesagt: »Na ja, jetzt muss man mutmaßen. … Ich glaube nicht, dass der Rücktritt freiwillig war. Ich glaube, dass er dazu gedrängt und genötigt wurde: Aufsichtsrat, Börse, Aktionäre, alle wichtige Partner hat er nun verloren,…und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer so sauber waren, die Herr Schrempp geregelt hat.«

Sind diese Aussagen, Jahre nach Schrempps Rücktritt, nicht längst Makulatur?

Auf diesen Meinungsäußerungen habe ich bestanden, denn in Deutschland muss Meinungsfreiheit gewahrt bleiben. Nach verschiedenen Niederlagen vor Gericht gab mir der Bundesgerichtshof, also das höchste deutsche Zivilgericht, Recht. Damit bleibt die Presse- und Meinungsfreiheit bei so genannten »Spontanäußerungen« unangetastet – das ist ein wichtiges Präzedenzurteil.

Du bist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC), Sprecher des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.); außerdem Klassenlehrer in einer Freiburger Realschule mit voller Stundenzahl, Gewerkschaftsmitglied, FC-Freiburg-Fan, der viele Heimspiele besucht, Buchautor, Vortragsreisender, und in Deiner Freizeit malst Du famose Bilder. Wie schafft man alles das ohne Herzinfarkt?

Da ich alle diese Tätigkeiten mit Herzensüberzeugung ausübe, besteht keinerlei Gefahr eines Herzinfarktes. Die Rüstungsindustrie muss sich also noch ein paar Jahrzehnte mit mir herumschlagen. Erlaubt sei dennoch, trotz der ernsten Thematik, eine humorvolle Nachbemerkung: Allergrößten Kummer bereitet mir, dass Du den früheren Verein der Besserverdienenden, den FC Freiburg, mit dem Arbeiterverein Sport Club Freiburg verwechselt. Der SC spielt trotz eines der geringsten Etats bei hervorragender Nachwuchsarbeit und ansehnlichem Spielvermögen zurzeit in der 1. Bundesliga. Damit ist der SC das Gegenmodell zu den Bayern und Schalker Bonzenvereinen.

Ein unverzeihlicher Fehler von mir, gerade mir, der ich Fan des FC St. Pauli bin, der in Hamburg eine ähnliche Geschichte mit dem HSV hat. Doch zurück zum ernsten Thema: Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie ist Baden-Württemberg mit dem Rüstungsriesen Daimler/EADS und Europas größtem Gewehr- und Pistolenhersteller Heckler & Koch in Oberndorf.

Bis zum heutigen Tag beläuft sich die Zahl der Menschen, die seit Firmengründung 1949 durch Kugeln aus dem Lauf von Heckler&Koch-Waffen ihr Leben verloren haben, auf mehr als 1.500.000. Diese Zahl ist konservativ berechnet, d.h. bezogen auf einen Weltmarktanteil von lediglich acht Prozent. Wie mir Firmen-Aussteiger mitgeteilt haben, soll der reale Anteil bei zehn bis zwölf Prozent liegen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert stirbt durchschnittlich alle 14 Minuten ein Mensch durch eine Kugel aus dem Lauf einer H&K-Waffe. Damit ist Heckler & Koch Deutschlands »tödlichstes« Unternehmen.

Mehr Menschen sterben durch Kleinfeuerwaffen als durch Bomben oder Granaten…

Und die Situation dürfte sich eher noch verschärfen. Denn in Zukunft wird die neue H&K-Waffengeneration mit der Maschinenpistole MP7, den Sturmgewehren G36, HK416 sowie HK417 und dem Maschinengewehr MG4 zu den Exportschlagern zählen. Top aktuell ist die Experimentierwaffe XM25. Dieser neue Waffentyp wird die Kriegsführung revolutionären. Denn sie ist mit einem Mikrochip ausgestattet, der die Munition direkt über dem Gegner zur Explosion bringen kann. Schon heute sterben, so Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, rund 63 Prozent aller Kriegsopfer durch Gewehrkugeln. Beim Kampfeinsatz des XM25 ist die Gefahr gewaltig, dass unbeteiligte Zivilistinnen und Zivilisten, die hinter Mauern und in Gebäuden Schutz suchen, verstümmelt, zerfetzt und getötet werden.

Der Bodensee ist zudem eine der führenden Rüstungsregionen mit Produktionsstätten in Lindau, Kreuzlingen und Friedrichshafen. Kleiner Nachhilfeunterricht: Was können Friedensinitiativen hierzulande gegen diesen Rüstungsboom tun?

Zweifelsohne: Der Tod ist ein Meister vom Bodensee. Gerade auf der deutschen Seite ist der Bodensee eine Rüstungsregion par excellence, was allzu gerne verschwiegen wird – schließlich möchte man nicht die zahlreichen Touristen verprellen. Um es auf den Punkt zu bringen: Bei ATM, Tognum/MTU, Diehl BGT Defence, in den Dornier-Werken, bei EADS Astrium oder ZF Friedrichshafen werden Waffen bzw. deren Bestandteile entwickelt, die bei Kriegseinsätzen den Tod in Welt bringen. Wichtig scheint mir, dass sich die Friedens- und Menschenrechtsgruppen noch mehr vernetzen, regelmäßig treffen und gemeinsam eine Kampagne zur Aufklärung entwickeln. In diesem Sinne ist es sehr erfreulich, dass sich im Mai ein Netzwerk gegen die Bodensee-Rüstungsindustrie gegründet hat. Ziel sollte der Stopp der Rüstungsexporte, mehr noch die Rüstungskonversion, die Umstellung auf eine sinnvolle zivile Fertigung, sein.

Bei jedem Deiner Vorträge in Konstanz hast Du Deutschland als einen der weltweit größten Waffenexporteure gegeißelt. Die gegenwärtige Regierung gibt wenig Anlass zu hoffen, dass sich das bald ändert?

Schon heute sind wir Deutschen, noch vor den Franzosen und Briten, Europameister in Sachen Rüstungsexport. In Zukunft drohen jedoch alle Dämme zu brechen. Schließlich haben CDU/CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag die Zielsetzung einer »restriktiven« Rüstungsexportpolitik gänzlich gestrichen. In dieser Legislaturperiode lautet das Ziel: »Wir halten an den derzeit geltenden Rüstungsexportbestimmungen fest und setzen uns weiter für eine Harmonisierung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein.« Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hätte auch offene Grenzen für Rüstungsexporte oder Abbau aller Hemmnisse für Waffenlieferungen im Koalitionsvertrag festschreiben können – das Ergebnis wäre letztendlich identisch.

Am 28. September bist Du wieder zu einem Vortrag in der Konstanzer Volkshochschule. Wir freuen uns auf Deinen Besuch, Deine Informationen und eine lebhafte Diskussion.

Ich freue mich sehr auf diesen Abend. Nicht nur, weil ich viele Friedensfreundinnen und Friedensfreunde treffen werde, die ich in den Jahren unserer Zusammenarbeit ins Herz geschlossen habe. Auch freue ich mich über jeden Menschen, der an diesem Abend kommt, um mit uns gegen Waffentransfers einzutreten und für Rüstungskonversion, die Umstellung auf eine sinnvolle zivile Fertigung. Wichtig ist mir auch die Diskussion über die neue Anti-Rüstungsexportkampagne ‚Aktion Aufschrei – Rüstungsexporte stoppen, den Tätern Name und Gesicht geben, den Opfern eine Stimme geben!’, die mehrere renommierte Friedensorganisationen im Frühjahr 2011 starten werden.

Wir werden 2011 Opfer der deutschen Waffenexporteure nach Deutschland einladen – warum nicht auch an den Bodensee? Dann wird die Diskussion um Arbeitsplätze um eine ganz neue Komponente erweitert, die nur allzu gerne totgeschwiegen wird – nämlich die Frage: Wie viel Tote rechtfertigen einen Arbeitsplatz in den Rüstungsbetrieben in Kreuzlingen, Überlingen, Lindau oder Friedrichshafen?

Jürgen Grässlin: »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland – Rüstungsindustrie in Deutschland und am Bodensee«, Dienstag, 28.9., 19.30 Uhr, Volkshochschule Konstanz, Katzgasse 7; Eintritt: 5 Euro, SchülerInnen frei, StudentInnen 2,50 Euro. Eine Veranstaltung von vhs, Friedensinitiative Konstanz und SeeMoZ

Autor: Die Fragen stellte Hans-Peter Koch

http://www.seemoz.de/2010/09/20/%e2%80%9eder-tod-ist-ein-meister-vom-bodensee%e2%80%9c/