Inland
Von Peter Kleinert
Jürgen Grässlin ist Realschullehrer, Pazifist, Kritischer DaimlerChrysler-Aktionär und Maler in Freiburg. Im vergangenen Jahr hat er nach der Biografie des ehemaligen Daimler-Vorstands Schrempp »Der Herr der Sterne« ein zweites Daimler-Buch veröffentlicht, das auf der SPIEGEL-Bestsellerliste nach ganz oben schoß - »Das Daimler-Desaster«. Im Zusammenhang damit hat Schrempps Nachfolger Dieter Zetsche den Autor mit dem Berliner Anwaltsbüro Schertz Bergmann vor das Berliner Landgericht gebracht. Siehe dazu unsere Glosse »Schertze des Berliner Landgerichts« und das folgende Interview. P.K.: In Ihrem Bestseller »Das Daimler-Desaster« erheben Sie schwere Vorwürfe gegen die DaimlerChrysler AG. Das Unternehmen soll über Jahre hinweg aktiv durch Graumarktgeschäfte gegen die EU-Richtlinien verstoßen haben, was der Vorsitzende Dieter Zetsche jedoch leugnet. Wegen Ihrer Vorwürfe im ARD-Magazin »titel thesen temperamente« mussten Sie am letzten Donnerstag vor dem Landgericht Berlin antreten. Die Richter gaben Zetsche Recht, so dass Sie nicht mehr behaupten dürfen, dass er im Graumarktfall Schweinle [.] [DR. Z IS WATCHING YOU!] abgegeben habe. Was sind Graumarktgeschäfte und warum wehrt sich der Konzern so vehement gegen Ihre Aussagen? J.G.: Graumarktgeschäfte sind Fahrzeuglieferungen jenseits des Vertriebsnetzes von autorisierten Händlern und Niederlassungsleitern, also an freie Händler. Die EU unterstützt diese Lieferungen, da die Kunden dadurch in ganz Europa preisgünstig Rabattfahrzeuge erwerben können. DaimlerChrysler hat sich allerdings eine Ausnahmestellung zusichern lassen, wonach der Konzern keine Graumarktgeschäfts betreiben aber auch niemand anders Mercedes verkaufen darf. In meinem Buch »Das Daimler-Desaster« habe ich pars pro toto am Fall des als Graumarkthändler missbrauchten Spediteurs Gerhard Schweinle nachgewiesen, dass der Konzern über Jahre hinweg Graumarktgeschäfte aktiv betrieben hat. Damit dieser Fakt nicht an die Öffentlichkeit drang, arbeitete der Daimler-Mitarbeiter Uwe Brandenburg in der Schweinle-Zentrale unter dem Pseudonym ,Herr Simon'. Welche Rolle spielte Dieter Zetsche im Fall Schweinle? Als DaimlerChrysler unter der Ägide des damaligen Vertriebsvorstands Dieter Zetsche - dem heutigen Vorstandsvorsitzenden - einen Kurswechsel vollzog, wurde Schweinle wegen dieser Graumarktgeschäfte des ,Betrugs zu Lasten der DaimlerChrysler AG' bezichtigt. Mehrere Zeugen hatten vor dem Landgericht Stuttgart ausgesagt, darunter auch Dieter Zetsche. Gerhard Schweinle wurde zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt, von denen er zweieinhalb Jahre in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim in einer Einzelzelle absitzen musste. Die Unternehmungen Schweinle hatten dadurch einen Verlust von rund 100 Millionen DM. Erst als der Bundesgerichtshof Schweinle freisprach, wurde das dramatische Fehlurteil des Landgerichts Stuttgart aufgehoben. Sie haben darüber in Ihrem Buch berichtet und sind jetzt mit einer Unterlassungserklärung zum Schweigen verurteilt worden. Mir wurde vom Landgericht Berlin untersagt, die Rolle von Herrn Zetsche auf den Punkt zu bringen, was ich im Interview mit dem Kulturmagazin »titel thesen temperamente« getan habe. Doch ich werde durch die Instanzen gehen und sei es bis zum Bundesverfassungsgericht. Denn ich bin mir sicher, dass ich Recht habe. Gibt es neben den Aussagen, die Sie in ttt geäußert haben, weitere, die Sie nach der Entscheidung des Landgerichts Berlin vorläufig unterlassen müssen? Neben dem amtierenden Vorstandsvorsitzenden Zetsche und DaimlerChrysler verklagen mich auch der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp und der Konzern. Ich hatte am Abend der Ankündigung des Schrempp-Rücktritts live im Studio in der SWR-Fernsehsendung »Landesschau« über die möglichen Rücktrittsgründe Schrempps und dessen Geschäftspraxis spekuliert. Dabei habe ich meine Aussagen ausdrücklich als Meinungsäußerung gekennzeichnet und gesagt: »Ich muss jetzt mutmaßen.« Die Landgerichte in Köln und München lehnten das Ansinnen Daimlers auf Unterlassung ab und votierten für Meinungsfreiheit. Leider erlaubt das deutsche Recht mittlerweile eine Art Court-Hopping: Der Konzern wandte sich danach an das Landgericht Hamburg, das das Verfahren gegen mich aufnahm und im Sinne des Unternehmens urteilte. Zurück zum Landgericht Berlin. Die dortigen Richter waren nicht bereit, an einem zweiten Verhandlungstag neun von Ihnen benannte Zeugen anzuhören und haben Ihnen stattdessen einen Maulkorb verpasst. Was hätten Ihre Zeugen berichten können? Hätten die Richter am Landgericht Berlin die von mir und meinem Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer benannten Zeugen geladen, so hätten diese zum einen die Aussagen Zetsches bei dessen Vernehmung im Fall Schweinle bestätigen können. An diese Aussagen scheint sich Herr Zetsche heute augenscheinlich nicht mehr so recht erinnern zu können. Zum anderen hätten mehrere der Zeugen meine massiven Vorwürfe als wahr bestätigen können, die ich gegenüber Herrn Zetsche geäußert habe - und wegen derer Zetsche vor dem Landgericht Berlin eine Unterlassungserklärung gegen mich verfügt hat. Einer meiner Zeugen hat eine Eidesstattliche Erklärung abgegeben, die im Kern noch wesentlich dramatischere Schlussfolgerungen aufdrängt, als ich sie geäußert habe. Sollte dieser Zeuge Recht haben, und ich hege daran keine Zweifel, dann müssten meines Erachtens sofort strafrechtliche Ermittlungen gegen führende Daimler-Manager eingeleitet werden. Was könnte Ihrer Meinung nach der Grund für die Weigerung der Berliner Richter sein, Ihre Zeugen nicht geladen zu haben? Darüber kann man nur spekulieren: Wären die neun Zeugen zu Wort gekommen, dann hätte das Gericht aus meiner Sicht die von DaimlerChrysler erwirkte Unterlassungserklärung aufheben müssen. Sollte man genau das nicht gewollt haben, dann war es zweifelsohne besser, die Zeugen nicht anzuhören. Ich werde den Verdacht nicht los, dass der führende Manager Deutschlands beträchtliche Rückendeckung erfährt. Deshalb werde ich die brisante Eidesstattliche Versicherung in naher Zukunft veröffentlichen. Spätestens dann müsste die Staatsanwaltschaft Stuttgart tätig werden, die sich bislang offensichtlich weigert, Ermittlungen gegen frühere bzw. amtierende Daimler-Vorstände einzuleiten - und das, obwohl ihr diese Eidesstattliche Versicherung seit einiger Zeit vorliegt. Allein diese Tatsache lässt tief blicken, was die Verhältnisse in Stuttgart anbetrifft. Wie werden sich diese Urteile auf Ihr Buch auswirken? Werden Sie bzw. der Verlag jetzt eine geschwärzte Ausgabe herausbringen, wie Werner Rügemers Verlag das ja sehr erfolgreich inzwischen mit dessen Buch über den Bankier Oppenheim in der dritten Auflage tut? Oder wird der Verkauf jetzt erstmal gestoppt? DaimlerChrysler konnte die Veröffentlichung des »Daimler-Desasters« nicht verhindern - allein das ist ein beachtlicher Erfolg. Dass das Buch im Frühjahr dieses Jahres Platz 1 der Bestsellerlisten für Wirtschaftsbücher eroberte, dürfte der Daimler-Führung wenig geschmeckt haben. Der Fall liegt hier ganz anders als beim »Bankier Oppenheim«: Dank des gegen mich verfügten Maulkorbs interessieren sich jetzt noch mehr Menschen dafür, was in den brisanten Kapiteln 5 und 6 über die dubiosen Daimler-Graumarktgeschäfte und die Verwicklung von Herrn Zetsche geschrieben steht. Wer diese beiden Kapitel liest und die darin beschriebenen Vorgänge zu Ende denkt, der weiß, was für den Konzern und seinen jetzigen Vorsitzenden auf dem Spiel steht. Das erklärt auch die Aufregung um meine Vorwürfe, die ich im Moment nicht wiederholen darf. Carl von Ossietzky hat einmal einen klugen Satz gesagt: »Wenn die Menschen nicht mehr fragen dürfen, dann werden die Dinge fragen.« Ich ergänze: Die Dinge werden fragen und die Wahrheit wird ans Licht kommen. Mehr zum Thema in der Glosse »Schertze« des Berliner Landgerichts. Online-Flyer Nr. 60 vom 05.09.2006 LINK ZUM ARTIKEL