Jürgen Grässlin meint, wir stabilisierten durch unsere Waffen Regime, die undemokratisch bis diktatorisch sind. Er ist Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner.
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Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Biograf des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG, Jürgen Schrempp
ZEITmagazin: Wie sieht Goliath aus Davids Perspektive aus?
Jürgen Grässlin: Goliath ist in Deutschland äußerst mächtig in Form einflussreicher Rüstungskonzerne und ihrer Lobbyistenverbände. David kämpft mit der Macht der Gewaltfreiheit für ein klar definiertes Ziel und erfreut sich seiner Erfolge.
ZEITmagazin: Welches ist dieses Ziel?
Grässlin: In Türkisch-Kurdistan und in Somalia traf ich den Gewehrtod und den Hungertod persönlich. Bei meinem Gang über Massengräber habe ich mit eigenen Augen ansehen müssen, was Kugeln aus dem Lauf deutscher und internationaler Kleinwaffen bewirken können. Sie sind die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit. Ich bekämpfe Rüstungsexport als Beihilfe zum Völkermord.
ZEITmagazin: In Äthiopien hörte ich mal, wie Madeleine Albright von einer Studentin gefragt wurde, warum die USA immer noch Waffen nach Afrika lieferten, und sie erwiderte: Ja, furchtbar, welch verantwortungslose Führer Sie haben…
Grässlin: Und wohlgemerkt: Drei Viertel aller Waffen werden von den fünf ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat geliefert. Die reichen Länder in West und Ost profitieren, Daimler/EADS, Heckler & Koch sind Kriegsgewinnler. Wir stabilisieren durch unsere Waffen Regime, die undemokratisch bis diktatorisch sind.
Roger Willemsen
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ZEITmagazin: Als Klaus Kinkel Außenminister war, wurden NVA-Panzer in den Krieg der Türkei gegen die Kurden geliefert. Er hat es immer dementiert.
Grässlin: Ja, aber immerhin musste Minister Stoltenberg 1992 zurücktreten wegen Bruchs des Waffenembargos. Dennoch: Geschätzte 98 Prozent unserer Waffenexporte erfolgen legal und von der Bundesregierung, gleich welcher Couleur, genehmigt. Im Falle der Türkei kamen etwa 36000 Menschen durch in Deutschland entwickelte G3-Gewehre um.
ZEITmagazin: Eine Massenvernichtungswaffe…
Grässlin: …der Firma Heckler & Koch, der tödlichsten Firma Deutschlands. Sie hat schätzungsweise mehr als 1,5 Millionen Tote mitzuverantworten. Durchschnittlich alle 14 Minuten stirbt ein Mensch durch eine Kugel aus einer H-&-K-Waffe.
ZEITmagazin: Werden Sie eingeschüchtert, oder benutzt man das Generalschlüssel-Argument: Arbeitsplätze?
Grässlin: Die meiden mich wie der Teufel das Weihwasser, und bitte: Seit der Firmengründung sind pro Arbeitsplatz ungefähr dreißig Menschen durch deren Waffen getötet worden. Absolut unmoralisch ist es, mit Arbeitsplätzen den Tod in der Dritten Welt zu befördern.
ZEITmagazin: Es war keine gute Idee, dass der Staat Sie mal zum Wehrdienst einzog.
Grässlin: Mit 18 Jahren hatte ich noch eine Sinnhaftigkeit im Militär gesehen. Als ich aber auf eine menschliche Silhouette schießen sollte, wurde mir bewusst, dass ich niemanden töten werde.
ZEITmagazin: Haben Sie je eine Waffe verhindert?
Grässlin: Ob wir die Produktion verhindert haben, weiß ich nicht, aber bestimmt mehrere Exporte.
ZEITmagazin: Wer einen Mercedesstern am Wagen hat, muss also wissen, es klebt Blut daran?
Grässlin: Ja, das kann man so sehen, weil Daimler über die Anteile an der EADS neben den Franzosen die größten Stimmrechte hat und die EADS führend ist bei Waffensystemen von Kampfflugzeugen bis zu Atomwaffenträgersystemen.
ZEITmagazin: Was wurde aus der Unterlassungsverfügung von Daimler und Schrempp gegen Sie?
Grässlin: Der Konzern und der frühere Vorsitzende wollten mir einen Maulkorb verpassen, was vom BGH untersagt wurde. Ihr mutmaßliches Ziel, mich zu ruinieren, haben sie verfehlt. Meine Bücher wurden Bestseller. Die Meinungsfreiheit ist intakt.
ZEITmagazin: Haben Sie dennoch erlebt, dass man Sie journalistisch lieber meidet, weil die Anzeigenkunden mehr Macht haben?
Grässlin: Ganz extrem. Wenn ich abstrakt zum Thema rede, schaffe ich es sogar auf die Titel, wenn ich Namen nenne, werde ich oft boykottiert.
ZEITmagazin: Warum also machen Sie immer weiter?
Grässlin: Als ich mit Gewehropfern in Somalia sprach, fingen sie bitterlich an zu weinen, mussten sich übergeben oder urinieren – doch zugleich ermunterten sie mich, nicht aufzugeben. Ich trage ihre Stimmen nach Deutschland und schäme mich für mein Land, wenn ich sagen muss: Wir sind momentan der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt. Lasst uns, statt Waffen zu exportieren, Sinnvolles produzieren, human handeln.
http://www.zeit.de/2009/46/Willemsen-Graesslin-46
Veröffentlicht in DIE ZEIT / ZEIT-MAGAZIN Ausgabe 46/2009