Interview von Frederik Obermaier
Der Waffen-Kritiker Jürgen Grässlin hat schon die Kleinwaffen-Hersteller Heckler & Koch und Carl Walther angezeigt, jetzt will er als Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!« auch die deutsche Waffenschmiede Sig Sauer vor Gericht bringen.
SZ: Gegen den Gewehrhersteller Heckler & Koch ermittelt die Staatsanwaltschaft, gegen den Pistolenhersteller Carl Walther ebenso. Vergangene Woche haben Ermittler die Firma Sig Sauer durchsucht - bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr. Was läuft schief in der deutschen Kleinwaffenindustrie?
Jürgen Grässlin: Führende deutsche Kleinwaffenfabrikanten nehmen es schon seit Jahren mit Gesetzen offensichtlich nicht so genau. Die Bundeswehr kauft immer weniger Waffen, in der Folge sucht die Branche hemmungslos neue Abnehmer. Dafür gibt es drei Gründe: erstens Profit, zweitens Profit, drittens Profit.
Pistolen von Sig Sauer sind in Kasachstan aufgetaucht und in Kolumbien...
... einem Bürgerkriegsland also, für das Deutschlands Exportkontrolleure seit Jahren zu Recht keinerlei Ausfuhrgenehmigungen für Kleinwaffen erteilen. Solche Lieferungen haben desaströse Folgen. Weltweit starben bisher mehr als zwei Millionen Menschen durch Kugeln aus dem Lauf deutscher Kleinwaffen, täglich werden es mehr. Das ist aktive Beihilfe zu Massenmord.
Sig Sauer behauptet, sich bei seinen Exporten an geltendes Recht gehalten zu haben - was bisher weder belegt noch widerlegt ist. Aber wenn Sig Sauer recht hat: Welche Verantwortung trägt die Bundesregierung?
Die Verantwortung für den exportierten Tod liegt sowohl bei den Unternehmen als auch bei der Politik. Deutsche Firmen liefern grenzenlos, auch an Krieg führende und menschenrechtsverletzende Länder - darunter Diktaturen. Das können sie nur tun, weil alle bisherigen Bundesregierungen dies genehmigt und damit legalisiert haben. Union, FDP, SPD und leider auch die Grünen haben auf ganzer Linie versagt, was die Kontrolle von Kleinwaffenexporten und Lizenzvergaben angeht. Unglaublich, aber wahr: 2008 erhielt das wahhabitische Herrscherhaus Saudi-Arabiens die Nachbaurechte für das Sturmgewehr G36.
Das würde so mancher Politiker sicherlich anders sehen - und auf die deutsche Exportkontrolle verweisen.
Potemkinsche Dörfer! Die Endverbleibskontrolle besteht lediglich darin, dass die Waffenhersteller einen Zettel namens End user Certificate vorlegen, auf dem geschrieben steht, wo ihre Waffen verbleiben sollen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle nickt ab. In Wirklichkeit aber gibt es keinen einzigen Beamten, der im Empfängerland unangekündigt überprüft, ob die Waffen tatsächlich dort vorhanden sind. Realiter landen sie vielfach in Krisen- und Kriegsgebieten. Derweil wird der Bevölkerung suggeriert, der Endverbleib sei gesichert. Was für eine verlogene Rüstungsexportpolitik.
Im Wirtschaftsministerium wird derzeit über eine Kontrolle nach US-Vorbild nachgedacht. Die Amerikaner schicken regelmäßig Inspekteure ins Ausland, um zu überprüfen, ob Waffen aus Amerika auch nach einigen Jahren noch dort sind, wo sie laut Exportgenehmigung sein sollten. Wäre das ein Modell für Deutschland?
Auch bei den Amerikanern ist der Endverbleib nicht wirklich gesichert. Endverbleib lässt sich de facto eben nicht gewährleisten, das haben vielzählige Fälle bewiesen. Daraus sollte die Regierung Merkel-Gabriel endlich den einzig richtigen Schluss ziehen und den Export von Kleinwaffen und von Lizenzvergaben zum Nachbau in anderen Staaten schlichtweg verbieten.
Und damit die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie aufs Spiel setzen?
Kleinwaffenhersteller sind in der Regel mittelständische Unternehmen. Hier geht es also gerade mal um Hunderte Arbeitsplätze qualifizierter Ingenieurinnen und Ingenieure, die dringend im nachhaltigen Zivilbereich benötigt werden. Diese Firmen sollten endlich ihre Produktion umstellen, zum Beispiel auf medizintechnische Produkte zur Behandlung der Opfer ihrer eigenen Kriegswaffen.
Das klingt jetzt nach pazifistischen Träumereien, nach einer Utopie.
Vor 30 Jahren hat mich ein Journalist nach meinen Wünschen für die Zukunft gefragt. Ich habe ihm geantwortet: ein Verbot von Streumunition, Landminen und Kleinwaffenexporten. Damals waren das wohl Träumereien. Doch Streumunition ist mittlerweile international geächtet, Landminen sind es ebenso. Aus Utopie kann Realität werden. Warum sollte es bei Kleinwaffen - der tödlichsten aller Waffengattungen - nicht auch funktionieren?
Frederik Obermaier hat in Eichstätt, Bogotá und Sanaa Politikwissenschaft, Journalistik, Soziologie und Wirtschaftsgeografie studiert. Danach arbeitete er zunächst als freier Autor für die Deutsche Presse-Agentur, die Magazine Neon und ZEIT Campus sowie die Zeitungen taz und die Frankfurter Rundschau. Seine bisherigen Recherchen führten ihn u.a. nach Kolumbien, Irak, Libanon, Jemen, Südafrika und auf die Marshall-Inseln. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem CNN-Award, dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse und dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis ausgezeichnet. Frederik Obermaier ist Redakteur im Ressort Investigative Recherche. Sein PGP-Key lautet CC45D096.