Internetmeldung »Meinungsfreiheit – Kein ‚Maulkorb’
für Kritik an Großunternehmen und deren Chefs«
in Ad-Hoc-News vom 22.09.2009



Meinungsfreiheit - Kein «Maulkorb» für Kritik
an Großunternehmen und deren Chefs

[Foto JG] BGH erweitert Grenzen der Meinungsfreiheit Das Recht auf Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut - es ist ein Grundrecht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Dienstag dieses Grundrecht gestärkt.

Der 6. Zivilsenat in Karlsruhe entschied, dass die Grenzen zulässiger Kritik «weiter» als üblich sein müssen, wenn es beispielsweise um die Bewertung der Geschäftstätigkeit des Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens und dessen vorzeitigem Rücktritt geht. Denn bei einem solchen »Ereignis bestehe ein großes öffentliches Interesse.

Fazit: Man darf also wenige Stunden nach einem solchen Geschehen - wie es die Ankündigung des vorzeitigen Rücktritts von Daimler-Chef Jürgen Schrempp im Jahr 2005 war - frei von der Leber weg öffentlich kritische Dinge sagen und dabei auch spekulieren.

Der Realschullehrer, Autor und Daimler-Kritiker Jürgen Grässlin bekam nun in letzter Instanz Recht. In einem Fernsehinterview hatte Grässlin wenige Stunden nach der Meldung über den Rücktritt gesagt, dass Schrempp wohl nicht [Aussage für mich – trotz des BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] aus dem Amt geschieden sei. Auch mit [Aussage für mich – trotz des BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] Geschäften hatte er Schrempp in Verbindung gebracht.

Mit seiner liberalen Rechtsprechung folgte der BGH nun den Argumenten von Grässlins Revisionsanwalt Wendt Nassall. Er sagte in der Revisionsverhandlung, es gehe darum, »ob nach einem Großereignis jedermann das Recht hat, sich frei Schnauze in der Öffentlichkeit zu äußern«. Wenn jemand sich wenige Stunden nach einem Ereignis äußere, sei es unmöglich, vorher sorgfältige Recherchen anzustellen. In einer solchen Situation müsse man schlichtweg spekulieren.

Dem hatte die Anwältin von Daimler und von Schrempp entgegen gehalten: »Jede schnell getane Äußerung würde dann sanktionslos bleiben.« Grässlins Äußerungen seien unwahre Tatsachenbehauptungen, die »als Spekulation eingekleidet« seien. Grässlin habe Schrempp zudem »ohne Anhaltspunkte illegale Geschäfte angelastet«, was als Schmähkritik zu werten sei. Die »Zeitnot« entlaste Grässlin nicht, sagte Rechtsanwältin Cornelie von Gierke. Auch sie wolle keinen »totalen Maulkorb«, wenn es um Äußerungen zu aktuellen Ereignissen gehe. Die Aussagen müssten aber »mit Vorsicht geschehen«.

Nassall mahnte hingegen den Bundesgerichtshof, das Recht auf Meinungsfreiheit dürfe »nicht in einer Woge der Abgewogenheit ertrinken«. Dem folgte nun auch der BGH. Die Bundesrichter stellten in ihrer Abwägung die Meinungsfreiheit für Grässlin über den Persönlichkeitsschutz von Schrempp. Die strittigen Aussagen seien gar keine Tatsachenbehauptungen, sondern - zulässige - Meinungsäußerungen.

Karlsruhe (ddp)