Der Bundesgerichtshof hat die Äußerungen des Daimler-Aktionärs Jürgen Grässlin als rechtens angesehen - dieser hatte in einem TV-Interview bezweifelt, dass der vorzeitige Rücktritt des früheren Vorstandschefs Jürgen Schrempp freiwillig gewesen sei.
Karlsruhe - Meinungsfreiheit gilt auch in der Welt der Konzerne und Aktionäre: Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in Karlsruhe. In einem Urteil wies es die Klage des Daimler-Konzerns gegen den Sprecher der Kritischen Aktionäre, Jürgen Grässlin, zurück.
Nach Schrempps Rücktritt im Juli 2005 hatte Grässlin dem SWR gesagt, der Unternehmenschef sei zu diesem Schritt [Aussage für mich – trotz des BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] worden, »und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer [Aussage für mich – trotz des BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] waren, die Herr Schrempp geregelt hat.« Der BGH sah darin die Grenzen der Meinungsfreiheit nicht überschritten.
Gegen Grässlins Äußerungen hatten Daimler sowie Schrempp auf Unterlassung geklagt und beim Oberlandesgericht (OLG) Hamburg zunächst noch Recht bekommen. Das Urteil der Hanseaten hob der BGH nun auf und verwies zur Begründung auf den »Gesamtzusammenhang« der Kritik: Der erste Teil der Äußerung sei entgegen der Auffassung des OLG nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Werturteil einzustufen. Beim zweiten Teil handele es sich auch nicht um unzulässige Schmähkritik, weil sich Grässlin zu einem »Sachthema von erheblichem öffentlichem Interesse äußerte« und dabei nicht die Herabsetzung Schrempps im Vordergrund stand.
Laut BGH besteht an der Bewertung der Geschäftstätigkeit eines Konzernchefs und dessen vorzeitigem Rücktritt generell ein großes öffentliches Interesse. Deshalb müssten die Grenzen zulässiger Kritik gegenüber einem solchen Unternehmen und seinen Führungskräften auch weiter gefasst werden. Würde man solche Äußerungen am Tag des Ereignisses unterbinden, wäre eine öffentliche Diskussion aktueller Ereignisse von besonderem Öffentlichkeitswert in einer mit der Meinungsfreiheit nicht zu vereinbarenden Weise erschwert.
Grässlin, seit 1991 Sprecher der Initiative Kritische Aktionäre, hat mehrere Bücher über Daimler verfasst und ist in zahlreiche Prozesse mit dem Konzern verwickelt. Er begrüßte die Karlsruher Entscheidung als Sieg der Meinungsfreiheit. Mit dem Urteil sei auch ein großer finanzieller Druck von ihm genommen. Da der Daimler-Konzern den Prozess verlor, muss er nun die Kosten tragen.
AZ: VI ZR 19/08
ssu/AFP/AP/ddp