Internetmeldung »Urteil zu Aussagen über Ex-Daimler-Chef«
in tagesschau.de vom 22.09.2009



Urteil zu Aussagen über Ex-Daimler-Chef

Aktionärskritik durch Meinungsfreiheit gedeckt

Der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp muss sich Aussagen kritischer Aktionäre gefallen lassen. Der Bundesgerichtshof entschied, dass Interview-Äußerungen des Daimler-Anteilseigners Jürgen Grässlin vom Juli 2005 über Hintergründe von Schrempps Rückzug durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt seien. Grässlin hatte gesagt, Schrempp sei zum Rücktritt [Aussage für mich – trotz des BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] worden, »und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer [Aussage für mich – trotz des BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] waren, die Herr Schrempp geregelt hat.«

Grenzen der Kritik großzügig bemessen

Laut BGH besteht an der Bewertung der Geschäftstätigkeit eines Konzernchefs und dessen vorzeitigem Rücktritt generell ein großes öffentliches Interesse. Deshalb müssten die Grenzen zulässiger Kritik gegenüber einem solchen Unternehmen und seinen Führungskräften auch weiter gefasst werden. Würde man solche Äußerungen kurz nach einem aktuellen Ereignis unterbinden, wäre eine öffentliche Diskussion in einer Weise erschwert, die dem Schutz der Meinungsfreiheit widerspräche. Grässlins Worte müssten im Gesamtzusammenhang des Interviews gewertet werden.

Grässlins Aussagen stammen aus der SWR-Landesschau am Abend des 28. Juli 2005. Wenige Stunden zuvor hatte Daimler den Beschluss des Aufsichtsrats gemeldet, dass Schrempp zum 31. Dezember 2005 aus dem Unternehmen ausscheide.

Klagen von Daimler und Schrempp gescheitert

Die Daimler AG und Schrempp wollten ein richterliches Verbot von Grässlins Aussagen durchsetzen. Die Unterlassungsklage war vor dem Hamburger Landgericht und dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) erfolgreich. Der BGH gab nun der Revisions-Beschwerde Grässlins gegen das vorinstanzliche Urteil statt.

Grässlins Anwalt Wendt Nassall sagte, man müsse den Gesamtzusammenhang mitberücksichtigen. Wenn jemand sich wenige Stunden nach einem Ereignis äußere, sei es unmöglich, vorher sorgfältige Recherchen anzustellen. In einer solchen Situation müsse man spekulieren. Dies habe Grässlin getan. Die Anwältin von Daimler und von Schrempp hatte dagegen argumentiert, die Äußerungen seien unwahre Tatsachenbehauptungen, die »als Spekulation eingekleidet« seien. Grässlin habe Schrempp zudem »ohne Anhaltspunkte illegale Geschäfte angelastet«, was als Schmähkritik zu werten sei. Die »Zeitnot« entlaste Grässlin nicht.

Grässlin, seit 1991 Sprecher der Initiative kritische Aktionäre, ist Autor mehrerer Bücher über Daimler und in zahlreiche Prozesse mit dem Konzern verwickelt.

Aktenzeichen: Bundesgerichtshof VI ZR 19/08