Internetbericht »BGH: Meinungsfreiheit deckt Kritik
an Ex-Daimler-Chef Schrempp am Tag seines Rücktritts«
zu BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08
in beck-aktuell-Redaktion vom 22.09.2009



BGH: Meinungsfreiheit deckt Kritik
an Ex-Daimler-Chef Schrempp am Tag seines Rücktritts

Zu BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08

Der Daimler-Aktionär Jürgen Grässlin hat vom Bundesgerichtshof im Streit um seine Kritik an der Daimler AG und deren ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp Rückendeckung bekommen. Die Karlsruher Richter halten seine Äußerungen für von der Meinungsfreiheit gedeckt. Sie betonen, dass an der Bewertung der Geschäftstätigkeit des Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens und dessen vorzeitigen Rücktritts ein großes öffentliches Interesse bestehe. Demgemäß müssten die Grenzen zulässiger Kritik gegenüber einem solchen Unternehmen und seinen Führungskräften weiter sein. Dies gelte vor allem für kritische Äußerungen, die – wie hier - noch am Tag des Rücktritts getätigt werden (Urteil vom 22.09.2009, Az.: VI ZR 19/08).

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Sachverhalt

Daimler und Schrempp hatten die Untersagung kritischer Äußerungen begehrt, die der Aktionär der Daimler AG und Sprecher eines Aktionärverbandes Grässlin am Tag des Rücktritts Schrempps im Dezember 2005 in der Fernsehsendung «SWR-Landesschau» getätigt hatte. In dem Interview sagte Grässlin: «Ich glaube nicht, dass der Rücktritt freiwillig war. Ich glaube, dass er (Schrempp) dazu [Aussage für mich – trotz des BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] wurde. … und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer [Aussage für mich – trotz des BGH-Urteils – erst dann wiederholbar, wenn auch die Hamburger Justiz ihre Urteile aufgehoben hat!] waren, die Herr Schrempp geregelt hat.» Die Daimler AG und ihr Ex-Vorstandsvorsitzender hatten mit ihrer Unterlassungsklage in der ersten und zweiten Instanz Erfolg. Der BGH wies die Klage indes ab.

Herabsetzung Schrempps stand nicht im Vordergrund

Der BGH betont, dass die Äußerungen Grässlins nicht isoliert gesehen werden dürften. Sie müssten im Gesamtzusammenhang des Interviews bewertet werden. Als wertende Äußerungen unterlägen sie dem Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Der erste Teil der Äußerung sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Werturteil einzustufen. Beim zweiten Teil handele es sich auch nicht um unzulässige Schmähkritik, weil sich der Beklagte zu einem Sachthema von erheblichem öffentlichem Interesse geäußert habe. Die Herabsetzung Schrempps habe nicht im Vordergrund gestanden.

Öffentliche Diskussion muss möglich sein

Bei der danach gebotenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz der Kläger und dem Grundrecht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung stellte der BGH den Persönlichkeitsschutz der Daimler AG und Schrempps hinten an. Würde man solche Äußerungen, wie die von Grässlin getätigten, am Tag des Ereignisses, auf das sie Bezug nehmen, unterbinden, wäre nach Ansicht des BGH eine öffentliche Diskussion aktueller Ereignisse von besonderem Öffentlichkeitswert in einer Weise erschwert, die nicht mit Art. 5 Abs. 1 GG zu vereinbaren sei.

beck-aktuell-Redaktion, Verlag C. H. Beck, 22. September 2009.