Inland
Von Peter Kleinert
Vergangenen Montag [Freitag, Anm. d. Verf.] fand vor dem Landgericht Hamburg der Rechtsstreit zwischen der DaimlerChrysler AG und ihrem früheren Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp mit dem Konzernkritiker und Buchautor Jürgen Grässlin einen ersten Höhepunkt. Im Hauptsacheverfahren um eine Unterlassungsklage errang der Sprecher der Kritischen Daimler-AktionärInnen (KADC) und der DFG-VK einen Punktsieg. Er war am 28. Juli 2005 in einem Fernsehinterview in der »Landesschau« des Südwestrundfunks (SWR) zu den möglichen Rücktrittsgründen Schrempps befragt worden und hatte darauf Antworten gegeben, die Schrempp und dem Konzernvorstand offenbar nicht gefielen. Da der Aufsichtsrat am Morgen des SWR-Interviews mit Grässlin in einer Ad-hoc-Meldung ohne jegliches Dankeswort und ohne Hinweis auf eine Abfindung die vorzeitige Vertragsauflösung von Daimler-Chef Schrempp verkündet hatte, äußerte sich der Aktionärssprecher in seinem TV-Interview kritisch über mögliche Hintergründe, wobei er ausdrücklich auf seine subjektive Wahrnehmung verwies: »Jetzt muss ich mutmaßen...«, und »Ich glaube, dass...« Vor dem Hamburger Landgericht erklärte Grässlin nun, dass Schrempps Rücktritt »von dramatischen Umständen begleitet wurde«. Er verwies unter anderem auf die seit dem Jahr 2004 laufenden Ermittlungen der US-Börsenaufsicht SEC, die für die Schrempp-Ära Schmiergeldzahlungen, Schwarze Kassen und Steuerhinterziehung in Millionenhöhe aufdeckte. Zudem, so Grässlin, sei »Schrempp über Graumarktgeschäfte größeren Ausmaßes informiert gewesen«, die dennoch nicht gänzlich unterbunden worden seien. Laut einer notariell beglaubigten Eidesstattlichen Versicherung des Industriekaufmanns Siegfried Finkenrath, die dem Hamburger Landgericht vorliegt, sollen drei Vorstände - darunter auch Schrempp - sogar in Graumarktgeschäfte involviert gewesen sein. »Dass Herr Schrempp von alledem nicht gewusst hat, gleicht meiner Meinung nach einer Erzählung aus Grimms Märchenstunde«, so KADC-Sprecher Grässlin in der Hamburger Verhandlung. In einem Verfahren vor dem Berliner Landgericht hatten die Richter, wie wir in NRhZ Nummer 60 berichteten, auf Antrag von dem Berliner DaimlerChrysler-Anwalt Schertz - ohne Durchführung einer Beweisaufnahme - nach kurzer mündlicher Verhandlung einer Unterlassungsklage des Konzerns und seines Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche gegen Grässlin stattgegeben, obwohl dieser auch dort mehrere Zeugen und die Eidesstattliche Versicherung als Beweismaterial angeboten hatte. Teile eines anschließenden Interviews mit Grässlin darf die NRhZ aufgrund einer Entscheidung desselben Berliner Gerichts vorläufig nicht weiter veröffentlichen. Nach der Verhandlung beim Hamburger Landgericht konnte Grässlins Rechtsanwalt Holger Rothbauer aufatmen. »Mein Mandant hat aufgezeigt, dass es sich in seinem SWR-Interview rechtlich eindeutig um gerechtfertigte Meinungsäußerungen und nicht um unwahre Tatsachenbehauptungen oder Schmähkritik gehandelt hat«, erklärte er. »Jetzt müssen DaimlerChrysler und Herr Schrempp zu den vorliegenden Beweismitteln bezüglich der Graumarktgeschäfte, der durch die SEC aufgedeckten Schwarzen Kassen, Schmiergeldzahlungen und Steuerhinterziehung in Millionenhöhe und vielem anderen mehr Farbe bekennen«, sagte der Tübinger Rechtsanwalt. Damit sei das Gericht »nicht der rechtlichen Linie von DaimlerChrysler und Herrn Schrempp gefolgt. Das ist eindeutig ein Punktssieg für Grässlin!« Am 10. November will das Hamburger Landgericht endgültig über die Vorwürfe von Jürgen Grässlin gegen DaimlerChrysler und Jürgen Schrempp entscheiden. Die NRhZ wird über das Urteil ebenso berichten wie über den Fortgang des »Berliner Verfahrens« des Konzerns und des Schrempp-Nachfolgers Zetsche. info@nrhz.de