Kriege werden oft mit der »Wahrung nationaler Sicherheitsinteressen« begründet. Ähnliches gilt für die Lieferung dazu gehöriger Waffen. Inzwischen ist Deutschland auf Platz 3 der Rüstungsexportnationen aufgestiegen.
Wie kommt es, dass der Anspruch eines restriktiven Ausfuhrgesetzes offenbar so wenig mit der Realität im Einklang steht? Wie schaffen es die Unternehmen, die Politiker und Bürokraten der Bundesausfuhramtes in Eschborn zu ‚überzeugen', dass ihre Waffen auch in Länder exportiert werden sollten, in denen erstens Konflikte herrschen und zweitens massiv die Menschenrechte verletzt werden?
Schon im Rüstungsexportbericht 2005 der Bundesregierung heißt es auf Seite acht: »Der Export von Kriegswaffen wird nur ausnahmsweise genehmigt, wenn im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen Deutschlands für die Erteilung einer Genehmigung sprechen. (…) Auch im Rahmen dieser restriktiven Genehmigungspraxis für Drittländer (verkürzt: jene Staaten, die nicht zu den westlichen Verbündeten zählen, S.B.) können daher z. B. legitime Sicherheitsinteressen solcher Länder im Einzelfall für die Genehmigung einer Ausfuhr sprechen.«
Laut Regierungsbericht hat es 11.858 Einzelgenehmigungen gegeben, aber nur 58 Ablehnungen. Das entspricht einer Genehmigungsquote von 99,5 %. Die genehmigten Exporte in Drittländer haben sich gegenüber 2004 verdoppelt. Besonders hoch ist dabei der Export maritimer Rüstungsgüter. Genehmigt wurden sie – in einem Gesamtwert von mehr als 800 Millionen Euro – für Südafrika, Pakistan, Indien, Indonesien, die Türkei und Tunesien. Staaten des Nahen Ostens wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar erhielten Kriegswaffen im Wert von jeweils mehreren Millionen Euro. Einige von diesen haben sie oder setzen sie aktuell gegen die zivile Demokratiebewegung ein. Das gilt auch für Libyen.
Die »Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung« (GKKE), die in einem eigenen Rüstungsexportbericht den Bericht der Bundesregierung im Lichte internationaler Entwicklungen, aber auch moralischer Kriterien bewertet, kritisiert die Lieferungen in die Krisenregion des Nahen und Mittleren Ostens als »Abkehr vom Grundsatz, Waffen nicht in Spannungsgebiete zu liefern«. Bernhard Moltmann, einer der Autoren, monierte zugleich, dass »in 46 Fällen Ausfuhrgenehmigungen erteilt [wurden], ohne dass wesentliche Kriterien des Kodex wie die Achtung der Menschenrechte oder die Abwesenheit interner Gewaltkonflikte erfüllt waren.«
Dienen diese Waffen den »legitimen Sicherheitsinteressen solcher Länder«? Wie lässt sich die Lieferung von U-Booten an Indien und Pakistan mit dem Wunsch nach einer friedlichen Beilegung des weiterhin ungelösten Kaschmir-Konfliktes verbinden? Was ist mit dem Aceh-Konflikt in Indonesien?
Die Aufrüstung von Konfliktparteien in Krisenregionen kann später unangenehme Folgen für die internationale Sicherheit haben. Die USA haben alle Staaten oder Konfliktparteien, gegen die sie aktuell Krieg führen, selbst mit Waffen versorgt: sei es Saddam Hussein während des Iran-Irak-Krieges in den 80er Jahren, seien es die Mushahedin/Taliban in Afghanistan (inklusive Bin Laden), als es gegen die Sowjetunion ging.fen, Giftgas zu entwickeln. Wie wir seit dem Massaker von Halabja 1988 wissen, hat Saddam Hussein es eingesetzt. Später dienten all die Waffen, die teilweise auch dank deutschen Know-hows hergestellt wurden, zur Begründung der Kriege gegen den Irak.
Waffen ohne Kontrolle: Lizenzproduktion
Ein weiteres Problem im Waffenhandel ist dem Rüstungsbericht nicht zu entnehmen: die Lizenzproduktion. Nach Recherchen des Buchautors Jürgen Grässlin genehmigten Bundesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten die Lizenzproduktion der Heckler & Koch-Waffen G3 und MP5 in Pakistan, Saudi-Arabien, Mexiko, Birma, Indonesien, Thailand, Malaysia, im Iran, in der Türkei und auf den Philippinen. Mit der Lizenzvergabe wurde der Bundesrepublik jegliche Kontrolle über den Endverbleib deutscher Waffentechnik verbaut. Nach Recherchen Grässlins befinden sich viele G3-Gewehre aus Pakistan in Somalia, einem Gebiet, wo Bundeswehrsoldaten im Einsatz sind. Oder es finden sich – nach Recherchen des WDR-Politmagazins MONITOR – G3- und MP-Gewehre in den Händen der Hisbollah, geliefert vermutlich vom Iran. Diese Waffen »treffen« im Ernstfall auf Soldaten der Bundesmarine bei ihrem Einsatz in den libanesischen Gewässern. Junge Soldaten haben bei Auslandseinsätzen also auf Schritt und Tritt mit deutschen Waffen zu tun.
Rüstungslobbyismus
Wie kommt es, dass der Anspruch eines restriktiven Ausfuhrgesetzes offenbar so wenig mit der Realität im Einklang steht? Wie schaffen es die Unternehmen, die Politiker und Bürokraten der Bundesausfuhramtes in Eschborn zu ‚überzeugen', dass ihre Waffen gerade in diese Länder exportiert werden sollten?
Das nachträglich größte Aufsehen um ein Rüstungsgeschäft gab es bei der Fuchs-Panzer-Lieferung des Thyssen-Konzerns an Saudi-Arabien im Jahre 1991, bei dem Schmiergelder in Höhe von 220 Millionen Mark geflossen waren. Zwei Thyssen-Manager und der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Ludwig-Holger Pfahls wurden inzwischen zu Haftstrafen, zum Teil auf Bewährung, verurteilt. Verknüpft ist das Geschäft mit Parteispenden, insbesondere an die CDU und FDP, und dem Namen des Rüstungslobbyisten Karl-Heinz Schreiber. Eine Rolle spielte aber auch, dass einige führende Politiker in den Aufsichtsräten der Konzerne saßen, beispielsweise der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister Schleußer bei Thyssen in Zeiten des Saudi-Arabien-Deals. Schnee von gestern?
Im Sommer 2006 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Räume der Rüstungskonzerne Blohm&Voss, HDW, MAN und Thyssen und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen Thyssen ein. Im Zusammenhang mit dem Verkauf von vier Korvetten an Südafrika im Jahr 1999 sollen Schmiergelder in Höhe von 30 Millionen Mark (15,3 Millionen Euro) geflossen sein.
Subtiler ist das Regierungssponsoring, das Mitarbeiter des Nachrichtenmagazins STERN bereits vor ein paar Jahren ermittelt haben: Rüstungsfirmen wie EADS, Thales, MTU, Diehl oder Rheinmetall finanzieren in kleinen, aber feinen Beiträgen interne Feierlichkeiten des Verteidigungsministeriums oder von Bundeswehreinrichtungen. So zahlte Airbus 15.000 Euro für die Feier »50 Jahre Luftwaffe«. Nachträgliches Dankeschön für gute Zusammenarbeit oder Fingerzeig für zukünftige Kooperation?
Die dreisteste Variante des Lobbyismus deckte MONITOR auf: Mitarbeiter von Konzernen arbeiteten als »Leihbeamte« in Ministerien. Zum Teil konnten sie interne Dienstunterlagen an ihren Arbeitgeber weiterleiten, zum Teil drechselten sie Gesetzentwürfe. Etwa 100 »Leihbeamte« hat die Bundesregierung inzwischen zugegeben. Zu den bisher offen gelegten Fällen gehört, dass Mitarbeiter von Daimler Chrysler sowohl im Verkehrs-, aber auch im Wirtschaftsministerium tätig waren. Aus dem Verteidigungsministerium ist derlei noch nicht bekannt geworden – bisher. Dennoch: Bundeswehr, Verteidigungspolitiker und Rüstungsindustrie treffen sich regelmäßig auf Konferenzen, etwa in Celle oder vor einem Jahr in Heidelberg. Dabei werden Sicherheitsfragen besprochen, heißt es, aber auch welche Waffensysteme heute gebraucht werden. Ist das schon Lobbyismus? Entscheiden Sie!
Damit ist die Rüstungslobby in Deutschland noch lange nicht dort angekommen, wo sie in Großbritannien seit 1966 ist, nämlich in einer eigenen Abteilung innerhalb des Verteidigungsministeriums, zuständig dafür, ihre Kontakte innerhalb der Ministerien »zur Unterstützung der (Rüstungs-)Unternehmensziele« zu nutzen und »bei der Aushandlung von Regierungsabkommen (über Waffengeschäfte) behilf-lich« zu sein. Aber mit den Leihbeamten ist der erste Schritt dorthin getan. Und die Tatsache, dass Deutschland inzwischen Platz drei der Rüstungsexportnationen erklommen hat, zeigt, dass es auch subtiler funktioniert.
Von Stephan Brües
http://politik.mediaquell.com/2011/05/21/ruestungsexport-ein-geschaeft-wie-jedes-andere-3242/