Liebe Friedensfreundinnen und Friedenfreunde,
sehr geehrte Damen und Herren!
Vor nicht einmal einem halben Jahr, am 3. Oktober 2013, ertranken vor der Küste der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa 367 Menschen. Vergeblich hatten sie versucht, von Afrika kommend mit einem Boot Europa zu erreichen. Die schockierenden Bilder wurden über Fernsehsender in unsere Wohnzimmer transportiert. Für einen kurzen Zeitraum wurde medial berichtet und von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen, was sich Tag für Tag und – mehr noch – Nacht für Nacht im Mittelmeer und an anderen Außengrenzen Europas abspielt, auch in Südost- und Osteuropa.
Menschen fliehen aus ihren Heimatländern allen voran in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten. Menschen fliehen vor der Waffengewalt der Kriege und Bürgerkriege. Menschen fliehen vor politischer Verfolgung, vor Unterdrückung und Folter, aber auch vor Armut und Hunger. Abertausende von Flüchtlingen versuchen Europa zu erreichen, einen Kontinent, in dem aus ihrer Sicht Frieden und Wohlstand herrscht.
Eine Vorstellung, die nicht immer, aber meistens zutrifft. Denn trotz eigener Probleme stellt Europa eine Art Wohlstandsinsel in einer Welt dar, die auch Anfang der 21. Jahrhunderts geprägt ist von kriegerischen Auseinandersetzungen. Laut Untersuchungen der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) tobten im Jahr 2013 dreißig Kriege, immerhin vier Kriege und bewaffnete Konflikte weniger als im Jahr zuvor – ein kleiner Lichtblick.
Mit dem Tod der 367 Menschen vor Lampedusa und dem weit verbreiteten Entsetzen konnte man für einen kurzen Augenblick darauf hoffen, dass sich am Schicksal von Flüchtlingen etwas ändern würde. Dass Europa seine Grenzen endlich öffnen und die eigenen Werte von Humanität und Mitmenschlichkeit, Solidarität und der Wahrung der Menschenrechte endlich ernst nehmen würde.
Doch in Wahrheit schottet sich Europa mehr denn je ab. Unser Kontinent bildet für Flüchtlinge eine unerreichbare Festung. Maßgeblich mitverantwortlich dafür ist die europäische Grenzagentur FRONTEX.
Die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL kritisiert zu Recht, »dass mit den FRONTEX-Einsätzen im Mittelmeer und vor der westafrikanischen Küste das Flüchtlingsvölkerrecht verletzt wird. FRONTEX-Schiffe drängen regelmäßig Flüchtlingsboote zurück in Staaten, in denen sie keinen asylrechtlichen Schutz finden können. In Staaten wie Libyen droht ihnen die Kettenabschiebung, unmenschliche Haft oder Misshandlungen.« Dabei steht das Beispiel Libyen pars pro toto als eines von vielen.
→ Lasst an dieser Stelle den Forderungen von Pro Asyl Nachdruck verleihen: Die menschenrechtswidrigen FRONTEX-Einsätze müssen gestoppt und der gefahrenfreie Zugang nach Europa geschaffen werden!
Weit verbreitet ist die Ansicht, dass wir Europäer und auch wir Deutschen mit dem Schicksal von Flüchtlingen nichts zu tun hätten. Bedauerlich sei es, wenn es Menschen schlecht gehe, wenn sie fliehen müssen. Führende Politiker wollen eine Mitverantwortung Deutschlands nicht eingestehen.
Die Sachlage ist eine andere: Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Ganz legal, also mit Genehmigung der Bundesregierung, wurden und werden Kriegswaffen und Rüstungsgüter an kriegführende und an menschenrechtsverletzende Staaten, selbst an Diktaturen geliefert.
Der aktuelle Rüstungsexportberichte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) 2013 nennt Ägypten, Algerien, Indien, Indonesien, Irak, Israel, Kolumbien, Libyen, Marokko, Oman, Pakistan, Russland, Saudi-Arabien, Singapur, Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Vietnam, in denen die Menschenrechtslage schlecht oder sehr schlecht ist.
Laut GKKE wurden die allermeisten Kriegswaffen im Jahr 2012 für Saudi-Arabien genehmigt: Waffentransfers im Wert von 1,237 Mrd. Euro – trotz der desaströsen Menschenrechtslage im Land, trotz Fatwa und Scharia, trotz öffentlicher Verstümmelungen und Exekutionen politisch Andersdenkender oder Andersgläubiger, beispielweise von Christinnen und Christen.
→ Im Wissen um die dramatischen Folgen dieser deutschen Rüstungsexporte fordert die Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel«: Rüstungsexporte müssen grundsätzlich verboten werden!
Besonders dramatisch ist der Export sogenannter »Kleinwaffen«. Sie sind die tödlichsten aller Waffengattungen, allein mit Gewehren werden zwei Drittel aller Opfer in Kriegen und Bürgerkriegen getötet: bei Schusswechseln, bei Massakern, bei Exekutionen. Deutschland ist weltweit die Nummer zwei der Kleinwaffenexporteure. Wenn Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, dann oft vor dem Einsatz eben dieser Kleinwaffen – Pistolen, Maschinenpistolen, Sturmgewehre, Maschinen- und Scharfschützengewehren – in den Händen von Regierungstruppen, Guerilla- oder Terroreinheiten.
An vorderster Front wird gekämpft mit Gewehren der Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch, vielfach in den Händen der Kombattanten aller Konfliktparteien. Allein vom Sturmgewehr G3 von H&K befinden sich schätzungsweise 15 Millionen Exemplare weltweit im Einsatz. Das neue Sturmgewehr G36 erobert derzeit legal und illegal die Krisen- und Kriegsgebiete in aller Welt. Dies geschieht durch Direktexporte, Umwegexporte über Drittstaaten sowie durch Lizenzvergaben, also die Vergabe von Nachbaurechten in mindestens 15 Ländern weltweit. Zu den Empfängerländern von H&K-Lizenzen zählen zahlreiche menschenrechtsverletzende Staaten wie der Iran, Saudi-Arabien, Pakistan, Mexiko und die Türkei.
Kein Wunder also, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten Tausende von Kurdinnen und Kurden ihre Heimatland im Südosten der Türkei verlassen mussten und viele von ihnen zu ihren Verwandten nach Deutschland geflohen sind – vielfach nicht wissend, dass sie damit in genau dem Land Schutz suchen, das die Eskalation der Waffengewalt durch grenzenlose Rüstungsexporte erst ermöglicht hat.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde: Wer Kleinwaffenexporte in Staaten wie diese genehmigt, macht sich mitschuldig am Massenmorden mit Kleinwaffen, allen voran G3- und G36-Gewehren! Und er macht sich mitschuldig an der Tatsache, dass Menschen zur Flucht gezwungen werden.
→ Im Wissen um die Tatsachen fordert die Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel«: Der Export aller Kleinwaffen und aller Lizenzvergaben muss sofort verboten werden!
Lasst mich an dieser Stelle noch eine positive Vorgehensweise unsererseits erwähnen: Im April 2010 habe ich Strafanzeige gestellt gegen Heckler & Koch wegen illegaler G36-Gewehrexporte an Mexiko. Diese Strafanzeige habe ich in der vergangenen Woche um zwei wichtige Aspekte erweitert.
Wir in der Aufschrei-Kampagne haben mittlerweile zwei Strafanzeigen gestellt, gleichsam über den Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer: gegen H&K wegen des Verdachts illegaler G36-Exporte nach Libyen. Und – ganz aktuell – gegen Carl Walther in Ulm wegen des Verdachts illegaler P-99-Pistolenexporte nach Kolumbien. Wir sind nicht länger gewillt, die Machenschaften der Rüstungsindustrie ohne juristische Gegenwehr hinzunehmen.
Deutsche Kriegswaffen wurden bzw. werden nicht nur im türkisch-kurdischen Bürgerkrieg, im kolumbianischen Bürgerkrieg sowie im mexikanischen Drogenkrieg eingesetzt – sondern auch in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan und in Libyen.
Wir protestieren heute nicht an einem x-beliebigen Ort. Wir protestieren vor dem Reichstag, in Sichtweite des Bundeskanzleramts. Im Bundeskanzleramt bewilligt der geheim tagende Bundessicherhitrat unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel Kriegswaffenexporte an kriegführende und menschenrechtsverletzende Staaten.
Mit ihrer Genehmigung des Exports von Kriegswaffen in Krisen- und Kriegsgebieten machten und machen sich Bundesregierungen mitschuldig am Morden – und im Fall der Kleinwaffen - am Massenmorden mit deutschen Kriegswaffen. Und Deutschland macht sich mitschuldig an der Schaffung der Fluchtgründe für Tausende, wenn nicht Millionen von Menschen.
→ Waffenexporte produzieren Flüchtlinge. Aus diesem Grund fordern wir seitens des Aufschrei-Kampagne von der Bundesregierung: Öffnen Sie die Grenzen für Flüchtlinge – und schließen Sie endlich die Grenzen für Waffen!
Vielen Dank.
Jürgen Grässlin
Autor »Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient«;
Tel. 0761-7678208 und Mob. 0170-6113759,
www.juergengraesslin.com,
graesslin@dfg-vk.de