»Frieden schaffen ohne Waffen
- Gedanken zur Notwendigkeit
eines aktiv gelebten Pazifismus im 21. Jahrhundert«
Festvortrag von Jürgen Grässlin
anlässlich der Festveranstaltung zum 50. Geburtstag
der DFG-VK-Ortsgruppe Karlsruhe am 09.09.2007



Frieden schaffen ohne Waffen -
Gedanken zur Notwendigkeit
eines aktiv gelebten Pazifismus im 21. Jahrhundert

Festvortrag von Jürgen Grässlin
anlässlich der Festveranstaltung zum 50. Geburtstag
der DFG-VK-Ortsgruppe Karlsruhe
im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Karlsruhe
am 9. September 2007

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreude,
liebe Sonnhild, lieber Ulli Thiel,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Denecken,
sehr geehrter Herr Verfassungsrichter Simon a.D.,

ich freue mich, diesen für euch Karlsruher und für die deutsche Friedensbewegung wichtigen Tag mit euch feiern zu dürfen. Eurer Einladung und der Anfrage bezüglich des Festvortrags bin ich sehr gerne gefolgt.

Gründung der IdK-Ortsgruppe Karlsruhe 1957 und der DFG-VK

Der Anlass unseres Treffens ist ein höchst erfreulicher: Die Karlsruher Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, DFG-VK, feiert ihren 50. Geburtstag. Dieser Umstand erklärt sich durch die Tatsache, dass die Ortsgruppe Karlsruhe der Internationale der Kriegsdienstgegner, IdK, Anfang September 1957 gegründet worden ist. In diesem Zusammenhang freue ich ganz besonders, das damalige Gründungsmitglied der Ortsgruppe, Helmut Schwöbel, bei uns begrüßen zu dürfen.

Die IdK hatte sich zehn Jahre zuvor in Hamburg konstituiert und stand in der Nachfolge des 1919 gegründeten und 1933 von den Nationalsozialisten zerschlagenen Bunds der Kriegsdienstgegner, BdK. Dabei setzte die IdK die Tradition der radikalen Kriegsdienstgegnerschaft fort. Verschiedene IdK-Gruppen bildeten1958 mit der GdW, der in Köln entstandenen Gruppe der Wehrdienstverweigerer, den Verband der Kriegsdienstverweigerer, kurz VK. Dessen Arbeitsschwerpunkte lagen vor allem in der Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern.

Die Deutsche Friedensgesellschaft, DFG, war bereits am 9. November 1892 von den beiden Österreichern Alfred Herrmann Fried und Bertha von Suttner, die später als erste Frau den Friedensnobelpreis erhielt, in Berlin gegründet worden. Im Jahr 1968 schlossen sich die DFG und die IdK zur Deutschen Friedensgesellschaft - Internationale der Kriegsdienstgegner, DFG-IdK zusammen. Sechs Jahre danach konstituierte sich die Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner, DFG-VK.

50 Jahre erfolgreiche Friedensarbeit der DFG-VK in Karlsruhe
- und weit darüber hinaus

In dem halben Jahrhundert ihres Bestehens hat die Ortsgruppe der IdK, der heutigen DFG-VK, im Raum Karlsruhe Hunderte von Friedensaktionen, Mahnwachen und Informationsveranstaltungen durchgeführt. Doch wenn wir heute fünfzig Jahre lokale Friedensarbeit feiern, dann dürfen wir die Impulse nicht vergessen, die ihr von Karlsruhe aus für die landes- und bundesweite Friedensbewegung gegeben habt: Dank Eurer Initiative konnte die Menschenkette gegen die Stationierung von Atomraketen verwirklicht werden. Ich selbst war einer der - wohlgemerkt rund zweihunderttausend - Teilnehmer der Menschenkette. Mit ihr haben wir am 22. Oktober 1983 Stuttgart mit Neu-Ulm verbunden und unsere Stimme gegen den NATO-Doppelbeschluss erhoben.

Und wenn ich heute zum Thema »Frieden schaffen ohne Waffen« spreche, dann weise ich nur allzu gerne darauf hin, dass der geistige Vater dieses Slogans kein Geringerer ist als unser Karlsruher Friedensfreund Ulli Thiel. Auf der Rückfahrt eines Treffens von Friedensgruppen, die Aktionen gegen die Bundeswehrausstellung »Unser Heer« planten, kam Ulli die Idee des ebenso griffigen wie zutreffenden Slogans »Frieden schaffen ohne Waffen«. Damit hat Ulli - übrigens über all die Jahre tatkräftig unterstützt von seiner Frau Sonnhild - uns in der deutschen Friedensbewegung ein Motto mit auf den Weg gegeben, das zugleich Auftrag ist.

Und wenn ich heute zum Thema »Frieden schaffen ohne Waffen« spreche, dann weise ich nur allzu gerne darauf hin, dass der geistige Vater dieses Slogans kein Geringerer ist als unser Karlsruher Friedensfreund Ulli Thiel. Auf der Rückfahrt eines Treffens von Friedensgruppen, die Aktionen gegen die Bundeswehrausstellung »Unser Heer« planten, kam Ulli die Idee des ebenso griffigen wie zutreffenden Slogans »Frieden schaffen ohne Waffen«. Damit hat Ulli - übrigens über all die Jahre tatkräftig unterstützt von seiner Frau Sonnhild - uns in der deutschen Friedensbewegung ein Motto mit auf den Weg gegeben, das zugleich Auftrag ist.

Vieles gäbe es zu sagen zu den erfolgreichen Friedensdemonstrationen der Achtziger Jahre. Das aber kann einer noch viel besser als ich: Unser Friedensfreund Andreas Zumach, heute ein viel gefragter Journalist und Buchautor, war damals Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung. Andreas wird nachher ein Grußwort halten, auf das ich mich ebenso freue wie auf das von Arno Neuber.

Im Laufe der Jahrzehnte habt ihr Karlsruher Friedensaktivistinnen und -aktivisten bis zu 30.000 Wehrpflichtigen in deren Anerkennungsverfahren als Kriegsdienstverweigerer geholfen - mit Informationen, durch Beratung und Beistand. Bis heute unterstützt ihr in der DFG-VK Karlsruhe Kriegsdienstverweigerer, auch Totalverweigerer. Am 15. Mai dieses Jahres hat sich Jonas Grote aus Protest gegen seine Einberufung zur Bundeswehr an ein Kasernentor in Karlsruhe gekettet. Er lehnt den Wehr- und Ersatzdienst ausdrücklich ab. Ich begrüße seinen Protest und danke euch Karlsruher Friedensfreundinnen und Friedensfreunde an dieser Stelle für eure tatkräftige Unterstützung für einen mutig und konsequent handelnden Pazifisten.

Einmal mehr habt ihr bewiesen, dass ihr als DFG-VK-Ortsgruppe mit euren rund 130 Mitgliedern klare Positionen vertretet und auch weiterhin eine wichtige Stimme in der Friedensbewegung für Gewaltfreiheit und Kriegsverhütung seid.

Politik weltweit: Frieden schaffen mit Waffen?

Lasst uns die heutige Festveranstaltung zum Anlass nehmen, unseren Blick auf die globale Situation zu richten. In Dokumentationen belegt die Arbeitgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg die unvermindert hohe Anzahl von weltweit 43 Kriegen und bewaffneten Konflikten. Vor mehr als sechzig Jahren wurde der Zweite Weltkrieg beendet, seither finden kriegerische Auseinandersetzungen in weiten Teilen der Welt statt. In Staaten der so genannten »Dritten Welt« finden rund 90 Prozent aller Kriege statt, die seit Jahren, zuweilen seit Jahrzehnten, toben.

Zahlenmäßig gesehen, so die Analysen des AKUF, ist Asien mit 16 kriegerischen Konflikten die am stärksten betroffene Region weltweit. Danach folgen die Afrika mit 12 sowie der Vordere und Mittlere Orient mit 11 Kriegen und bewaffneten Konflikten. In Lateinamerika wurden 2006 vier kriegerische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen. Die meisten dieser kriegerischen Auseinandersetzungen finden jenseits jeglichen medialen und öffentlichen Interesses statt, sie werden schlichtweg vergessen oder verdrängt. So schlagen sich die seit 2006 als Krieg eingestuften Kämpfe in Sri Lanka und in der pakistanischen Provinz Belutschistan allenfalls als Kurzmeldungen in Randspalten der Tagespresse nieder.

Im Sommer 2006 blickte die Weltöffentlichkeit kurzzeitig auf die Kämpfe zwischen der israelischen Armee und der libanesischen Miliz Hisbollah. Als Reaktion auf die Entführung zweier Soldaten startete Israel zuerst Angriffe auf den Südlibanon und weitete diese in der Folge auf den gesamten Libanon aus. Nach Jahrzehnten weitgehenden Desinteresses wandte sich der Blick der Medien zuweilen auch auf den Konflikt mit den weltweit schwerwiegendsten humanitären Auswirkungen - den Krieg in der sudanesischen Region Darfur, in dem Hunderttausende von Menschen den Tod gefunden haben sollen. Die Eskalation der kriegerischen Auseinandersetzungen in Somalia bleibt dagegen weitgehend unbeachtet, offensichtlich gehört sie längst zur Normalität. [#1]

Die Gründe für die - in den Kriegsgebieten lebenden Menschen folgenschwere - Ignoranz der Weltgemeinschaft sind unterschiedlich: Ist ein Land geostrategisch von untergeordnetem Interesse, besitzt es zu wenig Rohstoffe oder spielt es im so genannten »Krieg gegen Terror« keine Rolle, so können dort Massaker schlimmsten Ausmaßes verübt werden. Dann sieht kein Staatspräsident oder NATO-General Handlungsbedarf.

Ganz anders die Situation im Irak und in Afghanistan, hier ist der Fokus des öffentlichen Interesses voll auf die dortigen kriegerischen Auseinandersetzungen gerichtet. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 auf das Pentagon und das World Trade Center mit mehreren tausend Toten hat die US-Regierung den »Krieg gegen den Terror« ausgerufen, die »Allianz der Willigen« geschmiedet und völkerrechtswidrig den Irak besetzt. Die militärische Intervention und Besatzungspolitik belegen, dass es ganz offensichtlich nicht um Menschenrechte und Demokratisierung geht, sondern vielmehr im den Zugriff zum Ölhahn und die Erweiterung der Einfluss-Sphären im Nahen - und Mittleren Osten.

Das Ergebnis dieser Kriegspolitik lässt sich an nüchternen Zahlen festmachen: Bislang sind mehr als 3700 US-Soldaten gefallen, Hunderttausende Irakerinnen und Iraker haben ihr Leben verloren - diese Zahl kann nur geschätzt werden.[#2] Nach Berechnungen der Menschenrechtsorganisation amnesty international mussten bislang knapp zwei Millionen Iraker ihre Häuser verlassen und leben momentan als Binnenflüchtlinge in ihrem Heimatland. Zudem sind weitere zwei Millionen Iraker in eines der Nachbarländer geflohen, jeder siebte Iraker ist zurzeit Flüchtling. Da die meisten Nachbarstaaten eine restriktive Flüchtlingspolitik betreiben und ihre Grenzen schließen, ist Syrien der mit Abstand größte Aufnahmestaat. Rund 1,4 Millionen Menschen suchen Unterschlupf in syrischen Städten.[#3]

Eine Politik zur militärischen Absicherung ökonomischer und geostrategischer Interessen lehnen wir ab. Sie kann nicht zum Frieden führen.

Wie der Irak ist auch Afghanistan von demokratischen Verhältnissen weit entfernt. In den meisten Regionen herrschen Warlords und Drogenbarone; Gewalt, Terror und Drogenhandel beherrschen den Alltag. Die Bevölkerung, die immer häufiger Zielscheibe der Angriffe ist, lebt in ständiger Angst und unter unwürdigen sozialen Bedingungen.

Frieden schaffen ohne Waffen - die unumgängliche Antwort auf die so genannten »Anti-Terror-Kriege« des 21. Jahrhunderts

Wir Mitglieder der DFG-VK haben alle die Grundsatzerklärung der internationalen pazifistischen Friedensorganisation »wri«, War Resisters International, unterschrieben. Sie lautet wie folgt: »Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuwirken.« Die Zielrichtung unseres persönlichen Handelns ist damit klar definiert. Wie aber können wir Pazifistinnen und Pazifisten dazu beitragen, dass die Bundesrepublik Deutschland »keine Art von Krieg unterstützt«, dass von deutschem Boden tatsächlich nie wieder Krieg ausgeht? Und wie können wir erfolgreich »an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitwirken«?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir aufzeigen, inwiefern die Bundesrepublik, deren politische und militärische Institutionen und deren Rüstungskonzerne an Kriegen beteiligt sind bzw. von diesen profitieren. Direkte Ansatzpunkte erfolgreicher Friedensarbeit in Deutschland bieten sich vor allem dann, wenn deutsche Waffen geliefert werden oder wenn sich deutsche Soldaten im Kriegseinsatz befinden.

Lasst mich exemplarisch vier konkrete Handlungsansätze aufzeigen, wie wir Frieden ohne Waffen schaffen können:

1. In den kommenden Wochen entscheiden die Abgeordneten des Deutschen Bundestags über die Fortsetzung der Bundeswehrbeteiligung am UN-mandatierten ISAF-Einsatz und am NATO-Krieg »Operation Enduring Freedom«. Die Bilanz des bisherigen Bundeswehreinsatzes ist desaströs: Die Terrorgefahr in Afghanistan ist weiter gewachsen, der Demokratisierungsprozess und der Wiederaufbau des Landes stagnieren, mittlerweile werden selbst zivile Aufbauhelfer Opfer von Terroranschlägen - vor allem dann, wenn sie von Militärs begleitet werden.

Mit dem Einsatz der Tornado-Flugzeuge vom Typ RECCE - das »R« steht für »Reconnaissance«, also Aufklärung - ist die deutsche Kriegsbeteiligung weiter ausgeweitet und die Verquickung von OEF und ISAF intensiviert worden. Die Bundeswehr tritt nicht als Friedensstifter, sondern als Kriegspartei auf. Längst ist die Stimmung in der afghanischen Bevölkerung gegen die Bundeswehr umgeschlagen, laut Meinungsumfragen lehnt auch eine große Mehrheit der Deutschen die Bundeswehreinsätze in Afghanistan ab.

Seit 2002 sind in Afghanistan rund 85 Milliarden US-Dollar für militärische Maßnahmen ausgegeben, dagegen nur 7,5 Mrd. Dollar in den zivilen Wiederaufbau des Landes investiert worden. Wären diese 92,5 Milliarden Dollar für die Schulbildung von Kindern, die Ausbildung von Jugendlichen, in die Schaffung sinnvoller ziviler Arbeitsplätze, in den Bau von Krankenhäusern und Pflegeheimen, in die Wiedererrichtung der durch den Bürgerkrieg zerstörten Infrastruktur investiert worden, wären die Taliban heute längst ein Relikt einer düsteren Vergangenheit. Stattdessen ist Afghanistan bis heute das ärmste Land der Welt. Genau diese Armut und Perspektivlosigkeit der Menschen stellt einen idealen Nährboden für den Terrorismus der Taliban und anderer krimineller Organisationen dar.

Die Alternative ist unser Gegenmodell vom Frieden schaffen ohne Waffen. Hierzu ein kleines, aber symbolträchtiges Beispiel, selbstverständlich eines unter vielen: Dank des unermüdlichen Engagements mehrerer Schulen in Südbaden und dank der organisatorischen Unterstützung der Deutsch-Afghanischen Initiative, DAI, mit Sitz in Freiburg, ist es uns in den vergangenen sechs Jahren gelungen, die benötigten 80.000 Dollar zum Bau einer Mädchenschule zu sammeln. In der mittlerweile in Charikar, nördlich von Kabul, errichteten »Balaghel-Friedensschule« werden heute mehr als 1500 Kinder unterrichtet. Initiativen wie diese stellen einen ungleich bedeutenderen Beitrag zum Frieden dar als jeder Flug eines RECCE-Tornados der Bundesluftwaffe über Afghanistan.

Mit der Großdemonstration am 15. September bekunden wir unser entschiedenes »Nein!« zum Kriegseinsatz der Bundeswehr am Hindukusch. Am gleichen Tag entscheiden die Delegierten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über ihre Position zu den beiden Bundeswehreinsätzen. Auch die anderen im Bundestag vertretenen Parteien entscheiden in diesen Tagen über ihr Votum.

Seit einem Viertel Jahrhundert verfolge ich intensiv die Entwicklung in der Weltpolitik. Bei der Analyse so genannter »humanitärer« Interventionen und so genannter »Friedensmissionen« komme ich zu dem ernüchternden Ergebnis: Gewalt erzeugt nur Gegengewalt, Militär löst keine Konflikte - Afghanistan und der Irak sind nur zwei Beispiele unter vielen. Einmal mehr sind die vormals proklamierten Ziele einer friedlicheren Welt durch Militäreinsätze nicht im Mindesten erreicht worden und können - so meine wenig gewagte Prognose - mit militärischen Mitteln auch in Zukunft nicht erreicht werden.

Lasst uns deshalb von Karlsruhe aus ein Signal an die Bundestagsabgeordneten in Berlin schicken: Schaffen Sie die Voraussetzungen für Frieden in Afghanistan: Stimmen Sie gegen die Verlängerung des Bundesmandats am Hindukusch! Setzen Sie sich für die Verwendung der eingesparten finanziellen Mittel für den Wiederaufbau des zerstörten Landes ein!

2. Wie schon die rot-grüne Vorgängerregierung setzt auch die rot-schwarze Bundesregierung offensichtlich auf das Motto: »Frieden schaffen mit immer mehr Exportwaffen«. Die deutschen Waffenexporte sind in den vergangenen Jahren rasant angestiegen. Das Stockholm International Peace Research Institut, SIPRI, errechnete für Deutschland einen Anstieg beim Export konventioneller Waffen von 1,5 Milliarden Dollar im Jahre 2005 auf 3,8 Milliarden für 2006. Deutschland avancierte damit - hinter den USA und Russland - zum weltweit drittgrößten Waffenexporteur.

Zu den Empfängern deutscher Waffen zählen seit Jahren kriegsführende Staaten, ein bedeutender Anteil der deutschen Waffentransfers erfolgt sogar in die Entwicklungsländer, die zugleich deutsche Entwicklungshilfe beziehen. So wurden in beträchtlichem Umfang deutsche Waffen an Länder in Krisen- und Kriegsgebiete des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas verkauft. Der Grundsatz, nicht in Spannungsgebiete und nicht an menschenrechtsverletztende Staaten zu liefern, wurde und wird zunehmend missachtet. Durch »Reexporte« und Lizenzvergaben zum Nachbau deutscher Waffen wird der Waffenhandel unkontrollierbar.

Besonders folgenschwer ist der Export so genannter »Kleinwaffen«, also Waffen, die von ein oder zwei Menschen getragen werden können. Zu ihnen zählen Maschinenpistolen, Schnellfeuergewehre, Maschinengewehre, Mörser und Minen. Laut Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes sterben rund 95 Prozent aller Opfer - vornehmlich Zivilisten - durch so genannte »Kleinwaffen«. Deutschland zählt seit Jahren zu den führenden Kleinwaffenexporteuren, Gewehre der Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch wurden in rund fünfzehn Lizenzstätten nachgebaut, offiziell Direktexporte in 88 Staaten genehmigt.

Mit der »Waldkircher Erklärung: Stoppt den Rüstungsexport!«, mitinitiiert vom renommierten Historiker und DFG-VK-Mitglied Prof. Wolfram Wette, fordern wir

Der Start der Kampagne ist überwältigend. Bereits jetzt konnten wir Hunderte von Unterschriften sammeln, mehrere Tageszeitungen haben, zum Teil auf der Titelseite, berichtet. Anfang 2008 wollen wir alle Unterschriften - und wir hoffen bis dahin auf Tausende von Unterstützerinnen und Unterstützern - den Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien übergeben. Eine Vielzahl von Infoveranstaltungen wird bundesweit im Herbst stattfinden. Ich möchte euch bitten, die »Waldkircher Erklärung« zu unterzeichnen und aktiv für weitere Unterstützung zu werben - denn Rüstungsexport ist aktive Beihilfe zum Völkermord!

Weitere Informationen finden sich auf der Website www.dfg-vk.de

3. Lasst mich zum dritten Punkt konkreter Kampagnenvorschläge kommen. Wenn wir den Slogan »Frieden schaffen ohne Waffen« wörtlich nehmen, müssen wir massiven Druck auf die Rüstungsindustrie ausüben, die Produktion von der militärischen auf die zivile Fertigung umzustellen, also Rüstungskonversion zu gestalten.

Nicht umsonst nenne ich an allererster Stelle den Daimler-Konzern - den größten deutschen Rüstungskonzern und -exporteur. Wir alle kennen die Automobile der Marke Mercedes. DaimlerChrysler produziert jedoch nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Waffen und Rüstungsgüter. Über die 15-prozentige Beteiligung am Rüstungsriesen European Aeronautics Defence and Space Company, kurz EADS, und weitere Beteiligungsgesellschaften ist Daimler an die Produktion von Kampfflugzeugen, Militärhubschraubern, Trägersystemen für Atomwaffen und sogar Raketenwerfern für Streumunition verwickelt. Somit ist der Daimler-Vorstand Produktion und letztlich auch für den Einsatz von Streumunition mitverantwortlich.

Streumunition, wie die AFDS, kann aus Kampflugzeugen abgeworfen oder über den Raketenwerfer MLRS bzw. »Guided« MLRS (Multiple Launch Rocket System) verschossen werden. An beiden Waffensystemen ist die DaimlerChrysler AG beteiligt, über beide Waffensysteme profitiert sie an dem tödlichen Geschäft mit Streumunition. Diese MLRS-Verwicklung konnte auf der internationalen Rüstungsmesse Eurosatory in Paris dokumentiert werden. Am Stand des rüstungsproduzierenden Unternehmens MBDA, an dem Daimler/EADS zu 37,5 Prozent beteiligt ist, erfolgte die Präsentation des Raketenwerfers MLRS sowie dessen Streumunitionsraketen. Mit der technisch optimierten Version des MLRS, dem so genannten »Guided« MLRS-System, wird diese Waffe über eine noch größere Reichweite verfügen, soll zudem zielgenauer treffen und wesentlich effizientere Munition besitzen. Der Streumunitionswerfer GLMRS soll mit einer Salve rund 8000 Bombletmunitionen auf einem Gebiet bis zu einem Quadratkilometer verteilen können.

Welch tödliche Wirkung MLRS-Streumunition besitzt, zeigte sich 2006, als diese seitens der israelischen Armee im Krieg mit dem Libanon eingesetzt wurde. Ihre Wirkung gleicht der von Landminen. Durch die extrem hohe Zahl von Blindgängern, deren Zahl bis zu vierzig Prozent der abgeschossen Raketen erreichen kann, werden ganze Landstriche mit Streumunition verseucht. Das Aktionsbündnis landmine.de bewertet den Einsatz von Streumunition als Verstoß gegen die Genfer Konvention, welche wahllose Angriffe auf Zivilisten verbietet.

Um der Waffenproduktion beim Daimler-Konzern entgegenzutreten, haben wir von der DFG-VK - gemeinsam mit vier weiteren Friedensorganisationen - die Kampagne »Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Streumunition!« gestartet. Auf der von der DFG-VK betreuten Website www.wir-kaufen-keinen-mercedes.de kann jede/r Konzernkritiker/in öffentlich die persönliche Unterstützung für die an den Vorstand des größten deutschen Rüstungsproduzenten und -exporteur gerichteten zentralen Forderungen nach dem Ausstieg aus der Streumunition, der Produktion von Räumgeräten statt Raketenwerfern und der Einrichtung eines Fonds für die Opfer von Streumunition kundtun.

Mit einem heißen Aktionsherbst planen wir nunmehr den nächsten Schritt: Vor Mercedes-Niederlassungen und/oder an zentralen Plätzen werden im Zeitraum vom 2. bis zum 18. Oktober bundesweit Aktionen zur Streumunitionskampagne stattfinden. Ich möchte euch dazu aufrufen, auch vor der Mercedes-Niederlassung in Karlsruhe eine Aktion durchzuführen.

4. Ich habe meine Festrede mit den Möglichkeiten lokalen Friedensarbeit begonnen, und ich will ihn mit einigen diesbezüglichen Gedanken abrunden. In Freiburg habe ich mit Friedensfreundinnen und Friedensfreunden das Projekt der »Friedensstadt Freiburg« ins Leben gerufen. Schwerpunkte unserer Aktivitäten sind derzeit die Erarbeitung eines alternativen Stadtplans in dem Orte des Friedens und des Unfriedens verzeichnet werden, die rüstungsfreie Stadt Freiburg, monatliche Porträts von Friedensstifterinnen und Friedensstiftern vergangener Tage bis heute, Projekte gegen Rassismus, die Errichtung eines Deserteursdenkmals - vergleichbar dem, das auch dank Roland Blach vom DFG-VK-Landesverbands vor wenigen Tagen in Stuttgart eingeweiht werden konnte - und vieles andere mehr.

Bei vielen dieser Themen stehen wir noch am Anfang. In anderen Bereichen, beispielsweise bei der aus Japan kommenden Initiative der »Mayors for Peace«, der Bürgermeister für den Frieden, sind wir schon weit vorangeschritten: Unser Oberbürgermeister ist auf Anregung der DFG-VK-Ortsgruppe und des Freiburger Friedensforums den »Mayors for Peace« beigetreten.

Dieses Signal ist nicht zu unterschätzen, zumal in Deutschland immer mehr Bürgermeister auf diesem Wege ihre Ablehnung von Atomwaffen bekunden. Seit Juli 2007 sind in Bunkern des Jagdbombergeschwaders 33 im rheinland-pfälzischen Büchel etwa 20 US-Atomwaffen gelagert. Die Atomwaffen des Typs B-61 unterstehen dem Munition Support Squadron der US-Air Force. Im Kriegsfall können sie durch den Präsidenten Vereinigten Staaten von Amerika freigegeben werden. Mit Tornado-Jagdbombern trainiert die Bundesluftwaffe den Einsatz dieser Atomwaffen im Rahmen der nuklearen Teilhabe.

Bis heute fehlt Karlsruhe in dieser Städteliste der »Mayors for Peace«. Ich weiß, dass ihr von der Ortsgruppe der DFG-VK und das Friedensbündnis Karlsruhe alle Gemeinderatsfraktionen angeschrieben und zum Mitmachen aufgerufen habt. Daraufhin beantragte die SPD-Fraktion den Beitritt Karlsruhes zu den »Bürgermeistern für den Frieden«. Das ist ebenso löblich wie die im Juni 2005 erfolgte Zustimmung im Gemeinderat.

Dennoch lehnte der Karlsruher Oberbürgermeister Heinz Fenrich, CDU, die Unterzeichnung der Erklärung der »Mayors for Peace« ab. Auch eine Vielzahl weiterer kreativer Friedensaktionen konnte ihn bislang nicht zum Umdenken bewegen. Lasst uns den heutigen Tag auch zu einem eindringlichen Appell nutzen: Wir wollen Frieden schaffen ohne Atomwaffen! Herr Fenrich, schließen Sie sich den »Mayors for Peace« an!

Auch wenn sie verschiedene Ansatzpunkte zeigen und als Zielgruppe die Politik, das Militär und die Rüstungsindustrie angehen, ist den vier genannten politischen Kampagnen eines gemein: Sie alle setzen auf die gestaltende Kraft der gesellschaftspolitischen Veränderungen durch Mittel der Gewaltfreiheit. Der Ruf nach Waffengewalt erscheint immer leichter als der nach dem Einsatz ziviler, nicht militärischer Mittel.

Der Dalai Lama, den wir vor kurzem in Freiburg begrüßen durften, sagte einst: »Theoretisch lässt sich eine Situation konstruieren, in der allein eine Intervention mit Waffen einen Konflikt im Frühstadium ersticken kann. Das Problem einer solchen Argumentation liegt aber darin, dass es sehr schwierig ist, wenn nicht gar unmöglich, die Auswirkungen von Gewalt vorherzusagen. . Und sicher ist nur, dass jede Gewalt immer und unvermeidbar Leid mit sich bringt.« [#4]

Pazifismus, ist eine Politik aktiven Eingreifens, aktiven Handelns, eine Politik der kraftvollen Veränderung. Sie setzt an den Wurzeln des Übels an - ich erinnere an Rüstungsproduktion und Waffenexporte - und zielt auf die friedliche Veränderung an den Orten der Gewalt - hier wären derzeit weit mehr als vierzig Regionen weltweit zu nennen.

Gesellschaftliche Umbrüche waren immer dann von dauerhaftem Erfolg gekrönt, wenn sie von den Menschen gewollt waren und mit friedlichen Mitteln umgesetzt wurden. Historische Beispiele ließen sich an dieser Stelle viele nennen, pars pro toto verweise ich auf Mahatma Gandhis Gewaltfreiheit, die zur Vertreibung der britischen Besatzer führte, auf Martin Luther Kings Stimme des gewaltfreien Widerstands gegen die Rassentrennung in den USA, auf Nelson Mandelas Einsatz zur Abschaffung der Apartheidregimes mittels eines gewaltloses Umsturz und die folgende Versöhnungspolitik in Südafrika. Wir in Deutschland erinnern uns an die Montagsdemonstrationen, die von Leipzig aus den Impuls zur friedlichen Vereinigung der ehemaligen deutsch-deutschen Frontstaaten gaben. »Frieden schaffen ohne Waffen« ist der einzige Weg, der zum Weltfrieden führt.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, vieles habt ihr Karlsruhe in der DFG-VK-Ortsgruppe in enger Zusammenarbeit mit dem Friedensbündnis erreicht und angestoßen. Viele Aufgaben liegen noch vor euch, damit Karlsruhe - wie beispielsweise die österreichische Stadt Linz - zur Friedensstadt wird. Ich wünsche euch die Kraft für - wenn es sein muss - weitere 50 Jahre engagierter und erfolgreicher Friedensarbeit in Karlsruhe.

Jürgen Grässlin

Quellenangaben:
[#1] Pressemitteilung AKUF vom 17.12.2006, siehe www.AKUF.de und Neues Deutschland vom 19.12.2006 [#2] DIE ZEIT Nr. 37, 6. September 2007, Titelseite [#3] amnesty international. Das Magazin für die Menschenrechte, September 2007, S. 28 f. [#4] Dalai Lama: Das Buch der Menschlichkeit, Berlin 2002, S. 218

Kurzvita
Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC), Sprecher des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und Vorstandsmitglied im RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.). Er ist Autor einer Vielzahl kritischer Sachbücher über Rüstungs-, Militär- und Wirtschaftspolitik. In seinem aktuellen Buch »Abgewirtschaftet?! Das Daimler-Desaster geht weiter« (2007) veröffentlicht Grässlin vertrauliche Daimler-Dokumente zu Graumarktgeschäften und zum »Das Rüstungs-Desaster« von Daimler/EADS. Zugleich ist er Mitinitiator der neuen Kampagne »Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Streumunition!« und der »Waldkircher Erklärung - Stoppt den Rüstungsexport!«

Kontakt: j.graesslin@gmx.de
Homepages: www.juergengraesslin.com,
www.dfg-vk.de, www.schritte-zur-abruestung.de