Rezension »Buchkritik. Lehrstück für Anleger«
in Frankfurter Rundschau vom 11.04.2006



Buchkritik. Lehrstück für Anleger

VON BRIGITTE BIEHL

Der Freiburger Autor Jürgen Grässlin legt mit »Das Daimler-Desaster« ein neues Buch vor, das schon vorab für dicke Luft im Ländle gesorgt hat. »Der Konzern hat Druck auf den Verlag gemacht und versucht, das Werk mit juristischen Mitteln zu verhindern«, teilt Grässlin mit. Zudem haben die Juristen der Stuttgarter eine einstweilige Verfügung gegen mündliche Aussagen von ihm erwirkt, unter anderen gegen die Behauptung, er habe zwölf Tage vor der offiziellen Mitteilung erfahren, dass der damalige Unternehmenschef Jürgen Schrempp zurücktreten werde. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft beschlagnahmte daraufhin die Computer des Autors.

Gute Werbung für ein Buch, das ankommt: Der 304-Seiten-Wälzer kletterte auf Platz eins der Bestsellerlisten von Handelsblatt und Focus und steht auch in den Charts von Manager Magazin und Spiegel.

In seiner Biographie des langjährigen Vorstandschefs Schrempp - »Der Herr der Sterne« - hatte Grässlin hin und wieder einen lobenden Ton angeschlagen. Über solche dialektischen Manöver geht er diesmal forsch hinweg und den Untertitel - »Vom Vorzeigekonzern und Sanierungsfall?« - darf der Leser als rhetorische Frage verstehen. Kaum ein gutes Wort gilt Schrempp und Kollegen, dafür wird die Entwicklung des Autobauers unter vier Katastrophen-Überschriften zusammengefasst: als Welt-AG-Desaster, Produkt-Desaster, Graumarkt-Desaster und Bilanz-Desaster.

Der Autor personalisiert und bietet ein Lehrstück für jeden Anleger. Nicht zum ersten Mal haben sich so manche - vom Kleinstaktionär bis zum Aufsichtsrat - von einer Art Illusionstheater rund um einen großen Chef blenden lassen. Grässlin erinnert an die vielen blumigen Versprechen des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und schlägt ihm einen Widerspruch nach dem anderen um die Ohren. Dafür zitiert Grässlin aus Schrempps Reden auf Hauptversammlungen, bei denen er selbst seit Jahren als Sprecher der Kritischen Aktionäre Daimler-Chrysler (KADC) auftritt.

Blähworte der Unternehmenskommunikation wie die als »Hochzeit im Himmel« gepriesene Chrysler-Übernahme führt er genauso vor wie den Schrempp'schen Superlativ »extremst« und Durchhalteparolen wie die »vollständig mit Aufträgen« belegte Jahresproduktion der »legendären Automobilmarke« Maybach, die sich dann doch schlechter verkauft hat.

Enthüllungen über Zetsche

Hart geht der Autor auch mit dem neuen Konzernchef Dieter Zetsche ins Gericht. Der soll über das »Graumarkt-Desaster« Bescheid gewusst haben. Und er soll als Vertriebsvorstand während eines Formel-1-Rennens acht Luxuslimousinen aus dem Vorstandskontingent an den Daimler-Großkunden und Graumarkthändler Gerhard Schweinle verramscht haben. Zetsche hat das vor Gericht bestritten.

Grässlin sieht sich mit zwei Klagen konfrontiert: eine von Schrempp und eine von Zetsche. Beide werden von den Konzern- Juristen unterstützt. Er weigert sich, Unterlassungserklärungen zu unterzeichnen. »Gegebenenfalls ziehe ich beide Prozesse bis vor das Bundesverfassungsgericht durch.« Man darf gespannt sein.

Jürgen Grässlin:
Das Daimler-Desaster. Vom Vorzeigekonzern zum Sanierungsfall?
Droemer Verlag,
München 2005,
304 Seiten,
19,90 Euro.