Bericht »Die Automobilindustrie wird schrumpfen«
in DIE FREIE WELT. INTERNETZEITUNG vom 30.05.2009




Die Automobilindustrie wird schrumpfen

Von Gérard Bökenkamp

Die Nachrichten sind bestimmt von der Auseinandersetzung über die Rettung der angeschlagenen GM-Tochter Opel. Alle Rettungsmaßnahmen, staatliche Unterstützungen, Kurzarbeitergeld usw. werden nicht verhindern können, dass die deutsche Automobilindustrie mittel- und langfristig einen Schrumpfungsprozess erleben wird, denn die globale Wirtschaftskrise ist nicht die Ursache sondern nur Auslöser einer lang voraussehbaren Krise des Automobilsektors.

Die Ursache der Krise ist einfach darin zu suchen, dass zu viele, zu teure Autos produziert werden. Wie ein führender französischer Automobil-Manager zugab, waren schon vor der Krise Überkapazitäten von über 20 Prozent aufgebaut worden. Die europäische Automobilindustrie und der Wirtschaftsstandort insgesamt haben sich dem Wandel zu lange verweigert. Ein Beweis dafür waren schon die sogenannten »Graumarkt-Geschäfte« des deutschen Automobilriesen Daimler. Der Daimler-Konzern hatte jahrelang an seinen eigenen Autohändlern vorbei seine Fahrzeuge unter dem offiziellen Preis verkauft. Dies lässt sich in Jürgen Grässlins Buch »Das Daimler-Desaster« nachlesen.

Dieser Prozess der Verweigerung der Anpassung hat auch mit der starken Einbindung der Automobilkonzerne in die sogenannte Deutschland-AG zu tun. Banken und Gewerkschaften haben in den Aufsichtsräten die verfehlte Produktpolitik lange gestützt. Die Aktienwerte des Konzerns gingen in den Keller, aber der Vorstand blieb lange, viel zu lange im Amt, bis Schrempp endlich abgelöst wurde.

Deutschland insgesamt hat sich zu lange auf die alten Industrien verlassen, und zu wenig getan, die Rahmenbedingungen für neue Wachstumsbereiche, zum Beispiel in der Dienstleitung oder zum Beispiel in der Biotechnologie zu legen. Das gesamte deutsche Sozialsystem orientiert sich bis heute an der Industriegesellschaft des 19.Jahrhunderts.

Diese Zeit geht nun aber endgültig zu Ende. Wenn die Krise vorbei ist, werden in der deutschen Automobilindustrie nur nach ein Teil der heute dort tätigen Arbeitnehmer Beschäftigung finden können. Statt die Illusion zu wecken, man könne diesen Strukturwandel mit Staatshilfen verhindern, sollten jetzt die Weichen dafür gestellt werden, dass die Ressourcen unserer Volkswirtschaft sich den Marktanforderungen entsprechend neu eingesetzt werden können.

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