Von Volker Hasenauer (KNA)
Freiburg (KNA) Die Waffenlieferungen an die Kurden im Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) haben die Debatte über deutsche Außen- und Rüstungspolitik befeuert. Bundespräsident Joachim Gauck spricht sich für eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt aus. Auch die Kirchen ringen darum, vor dem Hintergrund von Hunderttausenden leidenden Menschen in Syrien und Irak Pazifismus und Realpolitik in Einklang zu bringen. Auf Einladung des Freiburger Diözesanrats diskutierten am Samstag in der Katholischen Akademie nun der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler mit dem charismatischen Anti-Rüstungsaktivisten Jürgen Grässlin über deutsche Waffenexporte und die Rolle der Rüstungsindustrie.
Erler sprach sich klar gegen eine Ausweitung und Liberalisierung von Rüstungsexporten und Waffengeschäften aus: »Derzeit arbeiten interessierte Kreise und Lobbyisten daran, die deutschen Waffenlieferungen an die Kurden zu nutzen, um einen Paradigmenwechsel in der deutschen Rüstungspolitik zu erreichen.« Dazu dürfe es nicht kommen, vielmehr müsse Deutschland bei seiner restriktiven Rüstungspolitik und seinen strengen Kontrollen bleiben, ja diese wieder verschärfen. »Dazu braucht es aber auch die Unterstützung und die Proteste der Zivilgesellschaft und der kritischen Öffentlichkeit.«
Gleichzeitig verteidigte Erler vor dem Hintergrund des Leidens der Menschen im Irak und in Syrien die Waffenlieferungen an die Kurden. »Die Entscheidung, Waffen in diese Krisenregion zu bringen, ist mit hohen Risiken verbunden, dennoch halte ich sie für richtig, um das Schreckensregime des IS zu stoppen. Eine Chance auf nichtmilitärische Verhandlungslösungen sehe ich derzeit nicht.«
Dem widersprach der Freiburger Rüstungsgegner Jürgen Grässlin scharf. Er kritisierte die Entscheidung des Bundestags, 16.000 Gewehre einschließlich sieben Millionen Schuss Munition zu liefern, als verfassungs- und völkerrechtswidrig. »Niemand kann garantieren, wann, wie und gegen wen die Waffen eingesetzt werden. Diese deutschen Gewehre werden noch jahrzehntelang töten, kein deutscher Politiker wird ihre Verbreitung kontrollieren.«
Grässlin, der sich seit Jahren für ein Ende deutscher Waffenexporte einsetzt, warf der Bundesregierung vor, den Profitinteressen der Rüstungsindustrie nachzugeben und dafür »schlimmste Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen weltweit« in Kauf zu nehmen. »Das Beispiel Saudi-Arabien zeigt, dass wir Staaten, wo Christen verfolgt werden, bis an die Zähne mit Waffen aufrüsten.« Trotz der auf dem Papier vorhandenen politischen Grundsätze gebe es immer wieder Lieferungen an Regime, die die Menschenrechte missachten. Deutsche Gewehre seien weltweit in nahezu allen Kriegsgebieten im Einsatz. Nach Saudi-Arabien habe Deutschland eine vollständige Fabrik zur Herstellung von Sturmgewehren geliefert. Dabei fordere der Einsatz von Kleinwaffen die meisten Toten: »Von hundert Kriegsopfern sterben 65 durch Gewehre«, so Grässlin.
Eindringlich rief er die Bundesregierung auf, einen bereits vereinbarten Vertrag zum Bau einer Panzerfabrik in Algerien aufzukündigen. »Sie können die falschen Entscheidung und den Deal im Umfang von zehn Milliarden Euro noch korrigieren«, forderte er von Erler.
Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung verwies darauf, dass Deutschland die europaweit strengsten Regeln zur Kontrolle von Rüstungsindustrie und -exporten besitze. »Gleichwohl muss man konstatieren, dass diese politischen Grundsätze immer wieder übergangen werden, da sie keinen Gesetzesrang besitzen«, räumte Erler ein.
Allerdings habe es bei Transparenz und Information über genehmigungspflichtige Rüstungsexporte deutliche Fortschritte gegeben. »Wir haben nun erstmals halbjährliche Berichte, in dem die Exekutive dem Bundestag alle Entscheidungen über Exportfreigaben offen legen muss, das wird eine kritische öffentliche Kontrolle ermöglichen.« Und trotz großen Widerstands der Verteidigungsministerin sei es gelungen, den Etat der Bundeswehr für die kommenden Jahre weiter zu kürzen.
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