Zur Übersicht Jürgen E. Schrempp
BERLIN taz. Jürgen E. Schrempp ist Vorstandsvorsitzender des größten deutschen Industrieunternehmens - noch, wohlgemerkt. Denn seine Arroganz, seine Maßlosigkeit und sein blinder Optimismus haben ihn zu folgenschweren Fehleinschätzungen verführt. Im persönlichen Gespräch urteilt Schrempp über Schrempp, er sei ein Mensch mit extremen Zielvorstellungen.
Schrempp ist extrem arrogant und extrem optimistisch. Sein Optimismus war und ist Mittel zum Zweck. Ob als Chairman der MBSA in Pretoria, als Dasa-Chef in Ottobrunn, als Daimler-Benz-Vorsitzender und DaimlerChrysler-CEO (Chief Executive Officer) in Stuttgart-Möhringen - immer hat er die Lage schöngeredet. Mit dem Zusammenschluss »zweier der erfolgreichsten Unternehmen« - Schrempp meinte allen Ernstes auch die Chrysler Corporation - seien die Aktionäre nunmehr »Eigentümer eines Unternehmens mit hervorragenden Wachstumsperspektiven«. Derlei Täuschungen haben den Konzern bisher weit über 40 Milliarden Euro gekostet, Börsen- und Aktienwert haben sich unter Schrempp halbiert, mehr als 80.000 Arbeitsplätze wurden vernichtet.
Umso erstaunlicher ist, dass Großaktionäre und Wirtschaftsjournalisten Schrempps turbokapitalistischen Visionen so lange Glauben schenkten. Jahrelang lagen sie Schrempp zu Füßen. Doch das Kartenhaus ist in sich zusammengefallen. Schuld daran ist in erster Linie Jürgen E. Schrempp. In den vergangenen Jahren kaufte der Daimler-CEO, was der Markt zu bieten hatte. Entstanden ist ein Konglomerat inkompatibler Kulturen. Heute stehen die Bewunderer vor dem Scherbenhaufen der Schremppschen Fehlentscheidungen. Schrempps Traum von der Welt AG ist gescheitert.
Dass Jürgen E. Schrempps Vertrag dennoch vom Aufsichtsrat bis zum Jahr 2008 verlängert werden wird, offenbart das Totalversagen des so genannten Kontrollgremiums. In den Jahren danach soll er als Aufsichtsratsvorsitzender die Geschicke des Unternehmens steuern und die Geschäftspolitik seines Nachfolgers beeinflussen. So weit die Theorie. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Seifenblase platzt und Schrempp mit einer Abfindung aus dem Amt befördert wird. Dann mutiert der Herr der Sterne zum Herrn der Scherben. Ein Trost wird ihm am Ende doch bleiben: Dank der von ihm durchgesetzten Amerikanisierung der Vorstandsgehälter kann er in Zukunft schwimmen gehen - in seiner Villa in Kapstadt und in den Millionen, die ihm seine Fehlentscheidungen eingebracht haben. So funktioniert die freie Marktwirtschaft.
Jürgen Grässlin (46) ist Autor des Buchs »Jürgen E. Schrempp. Der Herr der Sterne« (2000) und Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler
die tageszeitung (taz) vom 24.04.2004, Seite 4