Manager, die über Leichen gehen, und Politiker, die nur noch Marionetten sind.
Fragen an den Schrempp- und Piëch-Biografen Jürgen Grässlin
VON ULRIKE SCHELLBACH
PUBLIK-FORUM: Sie beschreiben Ferdinand Piëch und Jürgen Schrempp als sehr verschiedene Charaktere. Wo liegen die Unterschiede?
JÜRGEN GRÄSSLIN: Als ich Ferdinand Piëch im September 1999 auf der Automobilmesse in Frankfurt traf, reichte ich ihm die Hand und sagte: »Herr Piëch, nach
der Schrempp-Biografie würde ich nun gerne eine Biografie über Sie schreiben.« Der allererste Eindruck war, dass der VW-Vorsitzende überhaupt keinen Händedruck
hatte im Gegensatz zu Schrempp, der knallhart zudrückt. Und dann der Augenkontakt: Piëch kann einem nicht in die Augen sehen, wenn er mit einem spricht, während
Schrempp einen so richtig ins Visier nimmt - Augen wie Waffen, die ihr Gegenüber knallhart fixieren.
In Piëchs Verhalten drücken sich seine Minderwertigkeitskomplexe aus. Er hat es trotz
aller Erfolge nie geschafft, an seinen berühmten Großvater Ferdinand Porsche
heranzureichen. Das zeigt sich auch in anderen Situationen: Wenn Piëch jemanden als
Gegner klassifiziert, wie er das oft mit Vorständen in seinem Unternehmen getan hat, weil
sie ihm im Weg standen, dann klärt er das nicht in einem persönlichen Gespräch.
Vielmehr sorgt er hintenrum dafür, dass der Mensch freigestellt wird, wie man in der
Managersprache sagt. Bei Schrempp ist das anders. Er geht ganz offen in ein Gespräch
hinein, führt das Gespräch sehr zielgerichtet, bestimmend und, wenn es sein muss, auch
sehr aggressiv. Letztlich setzt er das durch, was er haben will - und das taktisch klug.
Er definiert als Verhandlungsziel nämlich nie 100, sondern immer 80 Prozent, denn er
weiß: Auch der Gesprächspartner muss etwas mitnehmen können und sich als Sieger
fühlen. Piëch zitierte dagegen in mehreren Fällen Leute in sein Büro und teilte ihnen
mit, dass sie das Unternehmen binnen 20 Minuten zu verlassen haben. In Begleitung des
Werkschutzes wurde das Büro geräumt. Die Betroffenen schweigen. Sie erhalten bei VW
exorbitante Abfindungen.
PUBLIK-FORUM: Herr Schrempp scheint Sie sehr beeindruckt zu haben. Warum?
GRÄSSLIN: An ihm schätze ich, dass er klar unterscheiden kann zwischen seiner Funktion als Manager und seinen menschlichen Fähigkeiten. Schrempp kann von einem Moment auf den anderen umschalten. Ein Beispiel: Als Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler habe ich Schrempp auf den Hauptversammlungen oft bitterböse Vorwürfe gemacht, etwa: »Sie sind mit verantwortlich für das Massenmorden mit DaimlerChrysler-Waffen in der Dritten Welt.« Er antwortet dann zornig vom Podium: »Die Entscheidungen fallen auf politischer Ebene, ich bin überhaupt nicht verantwortlich.« Bis Mitte der neunziger Jahre konnte Schrempp nach solchen harten Wortgefechten vom Podium heruntersteigen, mir auf die Schulter klopfen und sagen: »Das war ja wieder interessant heute« - und dann fand plötzlich ein ganz persönliches Gespräch statt. Jürgen Schrempp ist wahrscheinlich als einziger Manager in Deutschland in der Lage, über seinen Schatten zu springen und sich einen Biografen zu genehmigen, der nicht zum Hofberichterstatter verkommt. Unter dem Einfluss der rauen Wirtschaftswelt ist Schrempp allerdings in den letzten Jahren kälter und distanzierter geworden.
PUBLIK-FORUM: Kann man sagen, dass Leute wie Schrempp oder Piëch über Leichen gehen?
GRÄSSLIN: Durchaus. Beschäftigte bei DaimlerChrysler und Volkswagen haben mir das wörtlich bestätigt. Aber auch hier würde ich einen Unterschied machen. Schrempp hat elf Konkurrenten aus dem Weg geräumt, sehr zielgerichtet: Wenn ihm jemand im Weg war, weil er auf dieselbe Stelle wollte wie er selbst, dann wurde derjenige gegangen. Bei Piëch komme ich auf die Zahl von mindestens 32 Vorständen, die er gefeuert hat. Vorstände, die es gewagt haben, eine andere Position zu vertreten, was für den Konzern ja sehr nützlich sein kann. Das heißt: Piëch schadet dem Unternehmen, weil er kritische, intelligente Köpfe hinausdrängt.
PUBLIK-FORUM: Muss man in diesen Positionen nicht einfach über Leichen gehen?
GRÄSSLIN: Ich glaube nicht. Der Nachfolger von Piëch, Bernd Pischetsrieder, bringt nicht diese Härte und Intriganz mit, die Ferdinand Piëch kennzeichnen. Ich bin über Personen wie Bernd Pischetsrieder, den Ex-Automanager Daniel Goeudevert oder auch Wendelin Wiedeking von Porsche froh, die mit Intelligenz und Sachverstand vorgehen und nicht mit dieser Skrupellosigkeit.
PUBLIK-FORUM: Goeudevert, der Piëchs Stellvertreter war, hat sich für Umweltthemen und Mitarbeiterinteressen eingesetzt. Im Machtkampf mit Piëch ist er letztendlich unterlegen. Ist das symptomatisch?
GRÄSSLIN: Goeudevert scheiterte nicht nur an seinem Mitkonkurrenten Piëch, sondern auch an den Gewerkschaften, obwohl seine Positionen wesentlich näher an denen der IG Metall sind als die von Piëch. Aber Goeudevert ist kein Strippenzieher. Die Entscheidung fiel 1991, als Carl Horst Hahn, Piëchs Vorgänger, nicht die Zahlen vorlegen konnte, die man bei VW gerne gesehen hätte, und Massenentlassungen anstanden. In seiner Ehrlichkeit ging Daniel Goeudevert hin und sagte: »Wir müssen Leute entlassen, es geht gar nicht anders.« Ferdinand Piëch dagegen sagte: »Nein, wir produzieren so viel, dass wir nicht entlassen müssen.« Piëch hat Potemkinsche Dörfer aufgebaut und damit die Gewerkschafter geblendet, die daraufhin Daniel Goeudevert fallen ließen und Ferdinand Piëch vorzogen
PUBLIK-FORUM: ...der letztendlich auch Mitarbeiter entlassen hat.
GRÄSSLIN: Selbstverständlich. Trotz der Einführung der Vier-Tage-Woche hat der VW-Vorsitzende Piëch zwischen 1992 und 1994 35.000 Beschäftigte entlassen. Ehrlichkeit wird in der Großindustrie selten belohnt.
PUBLIK-FORUM: Die Bilanzen sahen bei Audi beziehungsweise VW unter Piëch nicht immer gut aus, dasselbe gilt für die Dasa beziehungsweise für Daimler unter Schrempps Führung. Trotzdem gelten die beiden als überaus erfolgreich. Was macht Erfolg in der Wirtschaft aus?
GRÄSSLIN: Tatsächlich sind weder Piëch noch Schrempp brillante Manager, was das Entwickeln von Produkten angeht, die Arbeitsplätze in Masse sichern. Beide haben immer wieder schlechte Bilanzen vorgelegt, Schrempp sogar dunkelrote. Bei rationaler Analyse hätte man annehmen müssen, keiner der beiden Vorstandsvorsitzenden könne im Amt bleiben. Dennoch haben beide es geschafft. Schrempp durch eine unglaublich geschickte Promotion seiner eigenen Person und Piëch durch den Druck, den man auf die Aufsichtsräte ausgeübt hat.
PUBLIK-FORUM: Zählt in der Wirtschaft eigentlich etwas anderes als Geld - etwa ethische, moralische Grundsätze?
GRÄSSLIN: Diese Werte müssten zählen. Allerdings haben weder Ferdinand
Piëch noch Jürgen Schrempp das erkannt. Beide setzen andere Werte - Stichwort:
Shareholder Value. Sie geben zumindest vor, rein nach rationalen Gesichtspunkten zu
arbeiten, um die Bilanzen zu verbessern und den Gewinn zu optimieren, was bis zu einem
gewissen Grade auch legitim ist. Aber es muss auch die zweite Ebene geben, die der Ethik
und Moral.
Worüber Schrempp übrigens immer wieder brillante Sonntagsreden gehalten hat. Allerdings
vergisst er leider die Umsetzung der eigenen Zielvorgaben. Beispiel: Rüstungsexporte.
Schrempp sagt: »Ich würde doch nie im Leben Waffen in ein Land liefern lassen, wo
Menschenrechte damit verletzt werden.« Dabei wurden und werden Daimler-Waffen bei
Menschenrechtsverletzungen in der Türkei oder Indonesien eingesetzt. Ich glaube, dass die
neue Managergeneration mehr Wert auf ethische, moralische Werte legen muss, schon deshalb,
weil eine kritischer werdende Gesellschaft angesichts gefährlicher Auswüchse der
Globalisierung diese Werte immer mehr einklagt.
PUBLIK-FORUM: Wie groß ist der Spielraum der Spitzenmanager für eigene Entscheidungen?
GRÄSSLIN: Der Spielraum ist gewaltig, gerade in Zeiten der Globalisierung. Inzwischen sind Manager weit mächtiger als Staatschefs. Mit 162 Milliarden Euro ist das Umsatzvolumen der DaimlerChrysler AG größer als das Bruttosozialprodukt eines jeden schwarz-afrikanischen Staates.
PUBLIK-FORUM: Schmälert die weltweite Konkurrenz nicht den Spielraum des einzelnen Unternehmers für Entscheidungen, die kostspielig sein können, zum Beispiel das Einhalten von Umwelt- und Sozialstandards?
GRÄSSLIN: Bei der Suche nach einer neuen Produktionsstätte für Automobile geht das Spielchen so: Sie wählen das Land mit den niedrigsten Standards aus, um dort allerdings immer ein bisschen besser zu sein als die anderen und damit die Public- Relations-Karte zu ziehen. Warum wird der Smart nicht in Deutschland gebaut, sondern in Hambach in Frankreich? Weil dort die Ökostandards und die Löhne viel niedriger sind. Warum wird die M-Klasse in Alabama gefertigt? Weil dort die größten Steuererleichterungen gewährt werden und die Gewerkschaften eine marginale Größe darstellen.
PUBLIK-FORUM: Wie groß ist der Einfluss auf Politiker?
GRÄSSLIN: Für mich sind selbst die einflussreichsten Politiker Deutschlands Marionetten der deutschen Großkonzerne. Gerhard Schröder verkauft sich sogar selbst als »Autokanzler«, also als Vasallen der Autoindustrie. Wo die Politik ökologische und soziale Rahmenrichtlinien gegenüber der Industrie setzen müsste, versagt sie. Die Entscheidungen fallen in den Vorstandsetagen von Wolfsburg oder Stuttgart-Möhringen.
PUBLIK-FORUM: Die rot-grüne Bundesregierung hat doch eine Ökosteuer durchgesetzt.
GRÄSSLIN: Die hat die Autokonzerne nur am kleinen Zeh ein wenig gejuckt. Mehr wehgetan hätte der Industrie die Altautoverordnung, wie sie die Umweltminister auf europäischer Ebene beschließen wollten. In der ursprünglichen Vorlage sollten die Autokonzerne ab 2001 alle Altfahrzeuge zurücknehmen und nach ökologischen Gesichtspunkten verschrotten beziehungsweise recyclen. Diese EU-Altautoverordnung wurde von der deutschen Autoindustrie vor allem in Person von Ferdinand Piëch ausgehebelt. Mit einem einzigen Privatbrief an Bundeskanzler Schröder, den ich zu seinem Unwillen in meiner Piëch-Biografie publiziert habe, hat der VW-Chef erreicht, dass die Verordnung erst 2006 in Kraft tritt. Diese Einflussnahme spart der Automobilindustrie in Europa einen zweistelligen Milliardenbetrag und geht massiv zu Lasten der Umwelt.
PUBLIK-FORUM: Ist die Politik schlicht ohnmächtig gegenüber der Wirtschaft?
GRÄSSLIN: Die Politik verabschiedet die Gesetze, etwa im Umwelt- und Sozialbereich. Aber in Wirklichkeit wird der Primat der Politik durch das Diktat der Großkonzerne ausgehebelt. Die Wirtschaftsführer geben die Rahmenrichtlinien vor, und die führenden Politiker lassen sich zu Marionetten degradieren.
Der Publizist und Lehrer Jürgen Grässlin er engagiert sich auch als kritischer Aktionär von Daimler - hat mit Biografien über Jürgen E. Schrempp und Ferdinand Piëch Furore gemacht. Beide Bücher enthalten Insider-Informationen über die Geschäftspraxis der Spitzenmanager. Die Schrempp-Biografie stand wochenlang auf den Bestseller-Listen.
Publik-Forum vom 10.05.2002, S. 8 ff.