Redebeitrag zur Demonstration gegen Terror;
Kundgebung auf dem Rathausplatz Freiburg, Freiburger Friedensforum
Liebe Freundinnen und Freunde,
elf Tage sind vergangen seit den schrecklichen Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, die Schaltzentralen wirtschaftlicher und militärischer Macht. Dies ist unsere dritte Friedensdemonstration in Freiburg, und wie am ersten Tag möchten wir auch heute den Verletzten und den Angehörigen der Toten unser herzliches Beileid aussprechen. Wir möchten gleichsam betonen, dass wir diesen Terroranschlag; wie jede Form weiterer Gewaltanwendung - zutiefst ablehnen.
Elf Tage sind
vergangen. Zeit genug zum Nachdenken, über die Ursachen dieser schrecklichen Gewaltaktion
nachzudenken. Mich wundert es wenig, dass gerade die Vereinigten Staaten Ziel dieser
Terroranschläge geworden sind. Seit Jahrzehnten haben die USA mit militärischen und
monetären Mitteln Demokratien gestürzt, Diktaturen installiert, Städte und Staaten
bombardiert - Hiroshima und Nagasaki in Japan, Vietnam, Chile, Nicaragua, Irak, Libyen, um
nur einige Beispiele von vielen Beispielen zu nennen. Wiederholt haben sie das
Völkerrecht mit Füßen getreten und Verurteilungen durch den Internationalen Gerichtshof
in Den Haag schlichtweg ignoriert.
Friedensforscher sagen uns, dass nach dem zweiten Weltkrieg Hunderttausende von Menschen
Opfer von US-Militärschlägen geworden sind. Wo blieb da der Aufschrei der Regierungen
westlicher Demokratien? Und wie kann man angesichts dieser Politik von einem völlig
unerklärlichen Schlag gegen die gesamte zivilisierte Welt sprechen?
Elf Tage sind
vergangen. Zeit genug zum Nachdenken, über das, was jetzt geschehen muss. In der Nacht
von Donnerstag auf Freitag hat sich der US-Präsident in einer Rede an die Menschen in den
Vereinigten Staaten und die Weltöffentlichkeit gewandt.
»Americans have many questions«, sagte George Bush und beantwortete Fragen in der ihm
eigenen Art: »Es wird dramatische Schläge geben.« Und weiter: »Amerika sollte nicht
nur eine Schlacht erwarten, sondern einen langjährigen Feldzug, den es so noch nicht
gegeben hat.« Gewaltbereite Demonstranten antworteten gestern in den Städten Pakistans:
»Wenn Amerika es wagt, anzugreifen, dann wird der wirkliche Dschihad beginnen.«
Angesichts derartig martialischer Drohungen empfinde ich Angst. Angst davor, dass die USA
militärische Vergeltung üben. Dass in islamischen Staaten Dschihad, der heilige Krieg,
ausgerufen wird und die Gewalt weiter eskaliert. Dass wir in einen unkontrollierbaren
Krieg hineinschlittern. Dass nach konventionellen auch atomare, biologische und chemische
Waffen zum Einsatz kommen. Dass Atomkraftwerke zum Ziel terroristischer Anschläge werden.
Vor allem aber, dass wieder unzählige unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten, Kinder,
Frauen, alte Menschen ihr Leben lassen für Machtgelüste fanatischer Terroristen und
verblendeter Politiker und Militärs. Um das zu verhindern protestieren wir friedlich
gegen Kriegsvorbereitung und Kriegstreiberei!
»Germans have also questions, Mr. Bush!«
Wir fragen
Sie: Glauben Sie allen Ernstes, den Terrorismus besiegen zu können, indem sie mit einem
nie zuvor da gewesenen »Kreuzzug« Städte bombardieren, ganze Landstriche verwüsten und
der Weltöffentlichkeit zugleich einreden wollen, die Demokratie zeige ihr wahres Gesicht
bei der flächendeckenden Vernichtung durch B52-Bomber?
Wie soll das Talibanregime das drohende Bombardement in Afghanistan verhindern, wenn Sie
die unmöglich einzulösende Forderung nach »vollem Zugang zu den Ausbildungslagern« der
Terroristen erheben?
Sehen Sie nicht, dass Sie bereits jetzt Pakistan mit ihrer Forderung nach militärischer
und logistischer Unterstützung an den Rand des Bürgerkriegs gebracht haben?
Wie viele Zivilistinnen und Zivilisten in Afghanistan, dem Irak, Libyen, Syrien - oder wo
auch immer - müssen sterben, ehe der »langjährige Feldzug« der so genannten
»zivilisierten Welt« sein Ende finden wird?
Ich hege einen schrecklichen Verdacht: Mir scheint, dass Sie die zivilen Opfer Ihrer
Militärschläge billigend in Kauf nehmen. So wie auch unsere Bundesregierung den Tod
vieler Menschen im Kosovokrieg - so genannte »Kollateralschäden« - billigend in Kauf
genommen hat. Ich hege den Verdacht, dass es der Supermacht USA vor allem darum geht,
Rache zu üben und weltweit Flagge zu zeigen. Und ich hoffe inbrünstig, dass sich mein
Verdacht nicht bewahrheitet.
Denn dann hätte sich die so genannte »zivilisierte Welt« eben auf das Niveau der
Terroristen herab begeben und demokratische Werte niedrigen Beweggründen geopfert. »Wir
Deutschen aber haben noch mehr Fragen, Herr Schröder, Herr Fischer und Herr Schily!«
Wir fragen Sie: Was veranlasst Sie, in blinder Gefolgschaft dem NATO-Bündnisfall
zuzustimmen?
Was veranlasst Sie, einem George Bush einen Blankoscheck für völkerrechtswidrige
Militärschläge in aller Welt auszustellen, ohne zu wissen, wo und in welchem Umfang sie
erfolgen und gegen wen sie überhaupt gerichtet sind? Was behindert Sie daran, humanitäre
Hilfe zu leisten und militärischer Gewalt zu entsagen?
Was veranlasst Sie als Mitglieder der Bundesregierung, in Deutschland Freiheits- und
Bürgerrechte auszuhebeln, die unsere Demokratie in vielen Jahren und zu Oppositionszeiten
mit Ihrer Unterstützung - errungen haben?
Beginnt jetzt die innenpolitische Jagd auf bärtige Männer, auf dunkelhäutige Frauen,
auf politisch Andersdenkende, wie die friedlichen Demonstranten von Genua?
Nein - uns
geht es nicht darum, Terrorismus auch nur in einem Nebensatz zu tolerieren oder gar zu
rechtfertigen. Die tödlichen Terrorangriffe auf Tausende von Menschen in New York und
Washington sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Schuldigen müssen gefunden,
vor ein internationales Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Aber
die Mittel, derer wir uns bedienen, um dieses Ziel zu erreichen, müssen rechtsstaatlich
sein, Völkerrecht und damit die Charta der Vereinten Nationen achten.
Sie reichen vom sofortigen Stopp der Rüstungsexporte über Wirtschaftsembargos (nicht
Embargos von Medikamenten und Lebensmitteln) gegen Staaten, die nachweislich Terroristen
Zuflucht bieten, bis hin zu Maßnahmen polizeilicher Gewalt zur Festsetzung von
Gewalttätern. Der Politik steht eine breite Palette nichtmilitärischer Mittel zur
Verfügung sie muss diese nur einsetzen. Diese nichtmilitärischen Mittel sind nicht nur
humaner, sondern in der Terrorismusbekämpfung erfolgreicher. Es ist ein Trugschluss zu
glauben, das Krebsgeschwür des Terrorismus könne wie mit einem Messer herausoperiert
werden. Die bin Ladens dieser Welt können nicht mit Waffengewalt ausgerottet werden!
Wir, die Friedens- und Menschenrechtsbewegung, haben einen Traum, Herr Bush, Herr
Schröder, Herr Fischer, Herr Schily! Wir träumen,
* dass nicht wieder Terroristen, wie Osama bin Laden, von den USA oder einem anderen Land
der so genannten »zivilisierten Welt« ausgebildet und bewaffnet werden,
* dass die Industrienationen der so genannten »zivilisierten Welt« - allen voran die
USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland - endlich ihre
Rüstungsexporte einstellen und damit den Scheindemokraten, Diktatoren und Terroristen in
aller Welt die Waffen entziehen,
* dass Armut und Hunger mit der Verwirklichung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung für
immer verschwinden,
* dass Kriege damit unmöglich werden und Millionen von Flüchtlingen in ihre Heimat
zurückkehren können,
* dass Freiheits- und Bürgerrechte gestärkt werden,
* dass Menschen aller Religionen und auch Atheisten in gegenseitiger Achtung einträchtig
miteinander leben.
Dann nämlich wird der Terrorismus in aller Welt seine Anhänger verloren haben. Dieser
Weg ist sehr weit. Aber er ist allemal kürzer als der eines »langjährigen Feldzugs«,
der sich zu einem unkontrollierbaren Flächenbrand ausdehnen wird. In diesem Sinne möchte
ich auch Sie und Euch bitten, gerade in diesen Vorkriegstagen aktiv für Frieden,
Freiheit, Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenrechte einzutreten. Wir sagen »JA zur
Solidarität mit den Opfern, aber NEIN zu Terror und Krieg!«