Redebeitrag zur Demonstration in Freiburg gegen
Terror »Germans have also questions, Mr. Bush!«
am 22.09.2001


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Redebeitrag zur Demonstration gegen Terror;

Kundgebung auf dem Rathausplatz Freiburg, Freiburger Friedensforum

»Germans have also Questions, Mr. Bush!«

 
Liebe Freundinnen und Freunde,

elf Tage sind vergangen seit den schrecklichen Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, die Schaltzentralen wirtschaftlicher und militärischer Macht. Dies ist unsere dritte Friedensdemonstration in Freiburg, und wie am ersten Tag möchten wir auch heute den Verletzten und den Angehörigen der Toten unser herzliches Beileid aussprechen. Wir möchten gleichsam betonen, dass wir diesen Terroranschlag; wie jede Form weiterer Gewaltanwendung - zutiefst ablehnen.

Elf Tage sind vergangen. Zeit genug zum Nachdenken, über die Ursachen dieser schrecklichen Gewaltaktion nachzudenken. Mich wundert es wenig, dass gerade die Vereinigten Staaten Ziel dieser Terroranschläge geworden sind. Seit Jahrzehnten haben die USA mit militärischen und monetären Mitteln Demokratien gestürzt, Diktaturen installiert, Städte und Staaten bombardiert - Hiroshima und Nagasaki in Japan, Vietnam, Chile, Nicaragua, Irak, Libyen, um nur einige Beispiele von vielen Beispielen zu nennen. Wiederholt haben sie das Völkerrecht mit Füßen getreten und Verurteilungen durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag schlichtweg ignoriert.
Friedensforscher sagen uns, dass nach dem zweiten Weltkrieg Hunderttausende von Menschen Opfer von US-Militärschlägen geworden sind. Wo blieb da der Aufschrei der Regierungen westlicher Demokratien? Und wie kann man angesichts dieser Politik von einem völlig unerklärlichen Schlag gegen die gesamte zivilisierte Welt sprechen?

Elf Tage sind vergangen. Zeit genug zum Nachdenken, über das, was jetzt geschehen muss. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat sich der US-Präsident in einer Rede an die Menschen in den Vereinigten Staaten und die Weltöffentlichkeit gewandt.
»Americans have many questions«, sagte George Bush und beantwortete Fragen in der ihm eigenen Art: »Es wird dramatische Schläge geben.« Und weiter: »Amerika sollte nicht nur eine Schlacht erwarten, sondern einen langjährigen Feldzug, den es so noch nicht gegeben hat.« Gewaltbereite Demonstranten antworteten gestern in den Städten Pakistans: »Wenn Amerika es wagt, anzugreifen, dann wird der wirkliche Dschihad beginnen.«
Angesichts derartig martialischer Drohungen empfinde ich Angst. Angst davor, dass die USA militärische Vergeltung üben. Dass in islamischen Staaten Dschihad, der heilige Krieg, ausgerufen wird und die Gewalt weiter eskaliert. Dass wir in einen unkontrollierbaren Krieg hineinschlittern. Dass nach konventionellen auch atomare, biologische und chemische Waffen zum Einsatz kommen. Dass Atomkraftwerke zum Ziel terroristischer Anschläge werden. Vor allem aber, dass wieder unzählige unschuldige Zivilistinnen und Zivilisten, Kinder, Frauen, alte Menschen ihr Leben lassen für Machtgelüste fanatischer Terroristen und verblendeter Politiker und Militärs. Um das zu verhindern protestieren wir friedlich gegen Kriegsvorbereitung und Kriegstreiberei!

»Germans have also questions, Mr. Bush!«

Wir fragen Sie: Glauben Sie allen Ernstes, den Terrorismus besiegen zu können, indem sie mit einem nie zuvor da gewesenen »Kreuzzug« Städte bombardieren, ganze Landstriche verwüsten und der Weltöffentlichkeit zugleich einreden wollen, die Demokratie zeige ihr wahres Gesicht bei der flächendeckenden Vernichtung durch B52-Bomber?
Wie soll das Talibanregime das drohende Bombardement in Afghanistan verhindern, wenn Sie die unmöglich einzulösende Forderung nach »vollem Zugang zu den Ausbildungslagern« der Terroristen erheben?
Sehen Sie nicht, dass Sie bereits jetzt Pakistan mit ihrer Forderung nach militärischer und logistischer Unterstützung an den Rand des Bürgerkriegs gebracht haben?
Wie viele Zivilistinnen und Zivilisten in Afghanistan, dem Irak, Libyen, Syrien - oder wo auch immer - müssen sterben, ehe der »langjährige Feldzug« der so genannten »zivilisierten Welt« sein Ende finden wird?
Ich hege einen schrecklichen Verdacht: Mir scheint, dass Sie die zivilen Opfer Ihrer Militärschläge billigend in Kauf nehmen. So wie auch unsere Bundesregierung den Tod vieler Menschen im Kosovokrieg - so genannte »Kollateralschäden« - billigend in Kauf genommen hat. Ich hege den Verdacht, dass es der Supermacht USA vor allem darum geht, Rache zu üben und weltweit Flagge zu zeigen. Und ich hoffe inbrünstig, dass sich mein Verdacht nicht bewahrheitet.
Denn dann hätte sich die so genannte »zivilisierte Welt« eben auf das Niveau der Terroristen herab begeben und demokratische Werte niedrigen Beweggründen geopfert. »Wir Deutschen aber haben noch mehr Fragen, Herr Schröder, Herr Fischer und Herr Schily!«
Wir fragen Sie: Was veranlasst Sie, in blinder Gefolgschaft dem NATO-Bündnisfall zuzustimmen?
Was veranlasst Sie, einem George Bush einen Blankoscheck für völkerrechtswidrige Militärschläge in aller Welt auszustellen, ohne zu wissen, wo und in welchem Umfang sie erfolgen und gegen wen sie überhaupt gerichtet sind? Was behindert Sie daran, humanitäre Hilfe zu leisten und militärischer Gewalt zu entsagen?
Was veranlasst Sie als Mitglieder der Bundesregierung, in Deutschland Freiheits- und Bürgerrechte auszuhebeln, die unsere Demokratie in vielen Jahren und zu Oppositionszeiten mit Ihrer Unterstützung - errungen haben?
Beginnt jetzt die innenpolitische Jagd auf bärtige Männer, auf dunkelhäutige Frauen, auf politisch Andersdenkende, wie die friedlichen Demonstranten von Genua?

Nein - uns geht es nicht darum, Terrorismus auch nur in einem Nebensatz zu tolerieren oder gar zu rechtfertigen. Die tödlichen Terrorangriffe auf Tausende von Menschen in New York und Washington sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Schuldigen müssen gefunden, vor ein internationales Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Aber die Mittel, derer wir uns bedienen, um dieses Ziel zu erreichen, müssen rechtsstaatlich sein, Völkerrecht und damit die Charta der Vereinten Nationen achten.
Sie reichen vom sofortigen Stopp der Rüstungsexporte über Wirtschaftsembargos (nicht Embargos von Medikamenten und Lebensmitteln) gegen Staaten, die nachweislich Terroristen Zuflucht bieten, bis hin zu Maßnahmen polizeilicher Gewalt zur Festsetzung von Gewalttätern. Der Politik steht eine breite Palette nichtmilitärischer Mittel zur Verfügung sie muss diese nur einsetzen. Diese nichtmilitärischen Mittel sind nicht nur humaner, sondern in der Terrorismusbekämpfung erfolgreicher. Es ist ein Trugschluss zu glauben, das Krebsgeschwür des Terrorismus könne wie mit einem Messer herausoperiert werden. Die bin Ladens dieser Welt können nicht mit Waffengewalt ausgerottet werden!
Wir, die Friedens- und Menschenrechtsbewegung, haben einen Traum, Herr Bush, Herr Schröder, Herr Fischer, Herr Schily! Wir träumen,
* dass nicht wieder Terroristen, wie Osama bin Laden, von den USA oder einem anderen Land der so genannten »zivilisierten Welt« ausgebildet und bewaffnet werden,
* dass die Industrienationen der so genannten »zivilisierten Welt« - allen voran die USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland - endlich ihre Rüstungsexporte einstellen und damit den Scheindemokraten, Diktatoren und Terroristen in aller Welt die Waffen entziehen,
* dass Armut und Hunger mit der Verwirklichung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung für immer verschwinden,
* dass Kriege damit unmöglich werden und Millionen von Flüchtlingen in ihre Heimat zurückkehren können,
* dass Freiheits- und Bürgerrechte gestärkt werden,
* dass Menschen aller Religionen und auch Atheisten in gegenseitiger Achtung einträchtig miteinander leben.
Dann nämlich wird der Terrorismus in aller Welt seine Anhänger verloren haben. Dieser Weg ist sehr weit. Aber er ist allemal kürzer als der eines »langjährigen Feldzugs«, der sich zu einem unkontrollierbaren Flächenbrand ausdehnen wird. In diesem Sinne möchte ich auch Sie und Euch bitten, gerade in diesen Vorkriegstagen aktiv für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenrechte einzutreten. Wir sagen »JA zur Solidarität mit den Opfern, aber NEIN zu Terror und Krieg!«