»The Global Bobbele« (über Jürgen E. Schrempp)
vom 06.02.2000


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Zur Übersicht Jürgen E. Schrempp



»The Global Bobbele«

Der Amerikaner wirft das Handtuch, der Freiburger hat es geschafft:
Jürgen Schrempp, alleiniger DaimlerChrysler-Boss
und mächtigster Manager in Europa

Es wird der 31. März 2000 sein. An diesem Tag wird Robert J. Eaton seinen letzten Arbeitstag bei der DaimlerChrysler AG feiern. Noch ein Gläschen Champagner, ein fester Händedruck seines Co-Chairmans, das war‘s. So oder so ähnlich wird die Kooperation zweier Chief Executive Officers, vor wenigen Tagen offiziell aufgekündigt, ein erfolgreiches und endgültiges Ende haben. Zufrieden wird sich der Amerikaner dem Fischen und der Familie hingeben können. Best wishes, Bob. Mit einer Abfindung von 24,4 Millionen Dollar sowie weiteren Zuwendungen soll der rüstige Rentner bis zu 70 Millionen Dollar erhalten. Dafür darf er den alleinigen Amtsinhaber brav loben und ansonsten artig schweigen.
Jetzt kann er gehen, und er ist klug genug, jetzt zu gehen. Einer nämlich kann es nicht ertragen, dass ihm ein anderer übergeordnet oder auch nur gleichgestellt ist. Einer, der den langen Weg von der südbadischen Provinz in die High Society des Kapitals beschritten hat. Heute verkehrt der Freiburger mit den führenden Köpfen der Polit- und Wirtschaftswelt: Ob Gerhard Schröder, Kanzler aller deutschen Autos, Bill Clinton, führender Politiker der westlichen Hemisphäre, oder James Wolfensohn, Präsident der Weltbank, keiner von ihnen kommt an Jürgen Erich Schrempp vorbei.
Denn die Bilanz des DaimlerChrysler-Chefs ist beeindruckend: Umsatz- und Profitzuwächse in zweistelliger Milliardenhöhe und mehr als eine Million weltweit verkaufter Fahrzeuge - alles in diesem Jahr - sprechen die Sprache eines der erfolgreichsten Gobal Players. An diesem Wochenende ehrt Freiburg sein berühmtestes Kind. Schrempp empfängt eine Auszeichnung, die hierzulande ausschließlich den verdientesten Persönlichkeiten zuteil wird: die Ehrenmütze der hiesigen Fasnetrufer. Seitdem seine Eltern 1996 gestorben sind, hat Schrempp die Zelte in Freiburg abgebrochen, sieht man mal vom närrischen Treiben und einigen Alibiterminen ab. Eines Tages hat SC-Präsident Achim Stocker bei Gerlinde Schrempp angerufen: »Warum hilft er dem Sport-Club nicht?« Vater Ernst war schließlich Ehrenvorsitzender. »Jürgen lässt Freiburg hängen«, kommentiert die Ex-Schwägerin. Dabei ist der am 15. September 1944 Geborene ein waschechtes Bobbele. In bescheidenen Verhältnissen hat die Familie in der Konradin-Kreutzer-Straße gewohnt und ist später in die Sternwaldstraße umgezogen. Die Nachkriegsjahre sind hart, und erst als Ernst Schrempp in späteren Jahren im Vorzimmer des Rektors der Uni Freiburg landet und dann sogar das Prüfungsamt des Oberschulamts leitet, ist die Kassenlage besser. In ihren Jugendjahren hält die Schrempp-Gang wie Pech und Schwefel zusammen. In der Wiehre schützen Klein-Jürgen und Noch-kleiner-Wolfgang den großen Bruder Günter gegen die Attacken anderer Knaben. Durchgeboxt haben sie sich auch danach. Immerhin findet Jürgen den Weg aufs Rotteck-Gymnasium, das er mit der Mittleren Reife verlässt und eine Lehre bei der hiesigen Mercedes-Niederlassung beginnt.
Es folgt die Zeit, da er eine Frau kennenlernt, die in der elterlichen Wäscherei die Reinigungsannahme betreut und auch selbst bügelt. Aufgrund seines zarten Alters muss sich er sich erst noch Vaters schriftliche Einwilligung besorgen, bevor er Renate Lutz ehelichen und danach zur Bundeswehr gehen kann. Pflichtbewusst setzt er zwei Kinder in die Welt, schließt strebsam sein Ingenieurstudium an der Offenburger Fachhochschule ab und nutzt anschließend das Rückkehrangebot des renommierten Autounternehmens. Karriere machen erst einmal alle drei Schrempp-Brüder, doch was Jürgen schafft, ist keinem Freiburger vor ihm gelungen. Mit Riesenschritten erklimmt er den Auto-Olymp. Ein Erfolg, der zurückzuführen ist auf Eigenschaften ganz besonderer Natur.
Der Mann ist mit allem ausgestattet, was ein Narrkappenträger von Welt so braucht: den Sinn für tiefgründigen Humor, die Fähigkeit zur mitreißenden Rede und zum begeisternden Gesang. Dass Jürgen Erich aber nicht Vereinsvorsitzender einer lokalen Narrenzunft, sondern Vorstandsvorsitzender des Global Players DaimlerChrysler geworden ist, verdankt er einer weiteren Fähigkeit: seinem ausgeprägten Gespür für Macht.
Er sei Extremist, urteilt Schrempp über sich selbst. Stimmt. Schon der Schüler Schrempp war extrem lerneifrig in Naturwissenschaften und extrem faul in Französisch was ihm zu einer Ehrenrunde verholfen hat. Der Mensch Schrempp ist extrem humorvoll, extrem einnehmend, extrem gewinnend was ihm einen großen Bekanntenkreis verschafft hat. Der Manager Schrempp aber ist extrem rücksichtslos, extrem skrupellos und extrem gefährlich was ihm viele Feinde eingebracht hat. Selbstverständlich versteht er Spaß, so lange man mit ihm lacht. Das Lächeln aber gefriert, wenn einer wagt, ihm ernsthaft zu widersprechen. Und steht man ihm und seinen Zielen im Weg, dann hat der Spaß ein Ende. Dann wird der Manager zum reißenden »Raubtier mit scharfen Zähnen«, so die treffende Charakterisierung des südafrikanischen Journalisten Hugh Murray. Und wenn das Raubtier die Zähne fletscht, ist es besser rechtzeitig zu fliehen als ernsthaft zu kämpfen. Denn den Kampf gegen ihn haben sie ausnahmslos alle verloren: die Dills und Lieners bei Mercedes-Benz, die Schäfflers und Mehdorns bei der Dasa, die Reuters und Werners bei Daimler-Benz, die Stallkamps und Eatons bei DaimlerChrysler. Weitere werden folgen. Vor allem die, die sich zu sicher fühlen.
Schrempp ist Weltmeister im Vermarkten, vor allem seiner selbst. Zumindest bis zu seiner Inauguration auf dem Chefsessel in Stuttgart-Möhringen hat sich der Manager durch alles andere hervorgetan als durch eine erfolgreiche Geschäftsbilanz. Ob als Chairman der Mercedes-Benz of South Africa, als stellvertretender Mercedes-Nutzfahrzeugvorstand oder als Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz Aerospace (Dasa) in Ottobrunn in der Regel sind seine Bilanzen rot, zuweilen dunkelrot. Dass er dennoch nicht gescheitert ist, liegt an der Fähigkeit, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben.
In Pretoria und später in Untertürkheim profitiert er von der Zuwendung Gerhard Lieners. Doch als er den Beteiligungs- und späteren Finanzvorstand nicht mehr benötigt, entlässt er seinen Ziehvater Liener. In Ottobrunn genießt er die volle Rückendeckung Edzard Reuters. Doch als der Dasa-Vorsitzende eine Chance auf Reuters Platz als Daimler-Chef wittert, lässt er seinen Gönner fallen. Vom 6,5 Milliarden-Mark-Verlust des Geschäftsjahrs 1995 geht das Gros auf das Schrempps Dasa-Konto. Aber dank geschickten Taktierens muss der Berliner gehen. Und der Freiburger erreicht das Ziel, das er seit Jahren fest im Visier hat: den Vorstandsvorsitz der Daimler-Benz AG, Deutschlands größtem Industrieunternehmen.
Und der jüngste Coup? Schon erstaunlich, mit welcher Selbsttäuschung die ansonsten so abgebrühten Manager in Auburn Hills den eigenen Untergang zelebriert haben. Geglaubt haben die Chrysler-Vorstände Schrempps turbokapitalistischen Visionen vom optimierten Shareholder-Value. Auch seinen Versprechungen vom permanent steigenden Aktienkurs auf dem Altar der Wall Street. Und sogar sein Gerede vom Zusammenschluss zweier gleicher Partner. Tatsächlich jagt seither eine Rekordbilanz die nächste. Doch die Fusion entpuppte sich für die amerikanische Seite als Übernahme. Gleichberechtigt waren die beiden Konzernschefs nie. Auch die Partnergesellschaften sind es derzeit nicht und werden es auch nie sein.
Lange Jahre haben die Medien dem Herrn der Sterne zu Füßen gelegen, haben das Raubtier respektiert. Die Macht der Werbegelder ist das Argument schlechthin gewesen. Denn die Arroganz des Global Bobbele, die Rationalisierungsmaßnahmen in Ehe und Firma, das Durchzocken gegen die US-Partner und der katastrophale Aktienkurs lassen die Stimmung spürbar umschlagen. Dass Schrempp seine kranke Frau Renate freigestellt und sich mit der jungen Sekretärin Lydia Deininger zusammengetan hat, nimmt man ihm selbst im eigenen Unternehmen übel. Dass er mit Thomas T. Stallkamp und Robert J. Eaton die beiden führenden Köpfe der US-Seite aus dem Konzern gedrängt hat, verunsichert weitere amerikanische Anleger. Dass er mit seinen Bemühungen um die Aufnahme der Daimler-Aktie in den begehrten US-Index Standard & Poor’s gescheitert ist, wird als Signal gewertet. Und dass der Kurs der Aktie von 104,7 auf 67,2 Dollar dramatisch gefallen ist, verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Eine Firma ist DaimlerChrysler noch lange nicht. Und der Stern des Global Bobbele könnte genauso schnell und so tief sinken wie der des Edzard Reuter. Dann erhält die Narrenkappe eine zweite, eher ungewollte Bedeutung.

Der Freiburger Jürgen Grässlin ist Autor der bislang einzigen Schrempp-Biografie: »Jürgen E. Schrempp. Der Herr der Sterne«.Zeitung zum Sonntag vom 06.02.2000