Zur Übersicht Jürgen E. Schrempp
Es wird der 31. März 2000 sein. An diesem Tag wird Robert J.
Eaton seinen letzten Arbeitstag bei der DaimlerChrysler AG feiern. Noch ein Gläschen
Champagner, ein fester Händedruck seines Co-Chairmans, das wars. So oder so
ähnlich wird die Kooperation zweier Chief Executive Officers, vor wenigen Tagen offiziell
aufgekündigt, ein erfolgreiches und endgültiges Ende haben. Zufrieden wird sich der
Amerikaner dem Fischen und der Familie hingeben können. Best wishes, Bob. Mit einer
Abfindung von 24,4 Millionen Dollar sowie weiteren Zuwendungen soll der rüstige Rentner
bis zu 70 Millionen Dollar erhalten. Dafür darf er den alleinigen Amtsinhaber brav loben
und ansonsten artig schweigen.
Jetzt kann er gehen, und er ist klug genug, jetzt zu gehen. Einer nämlich kann es nicht
ertragen, dass ihm ein anderer übergeordnet oder auch nur gleichgestellt ist. Einer, der
den langen Weg von der südbadischen Provinz in die High Society des Kapitals beschritten
hat. Heute verkehrt der Freiburger mit den führenden Köpfen der Polit- und
Wirtschaftswelt: Ob Gerhard Schröder, Kanzler aller deutschen Autos, Bill Clinton,
führender Politiker der westlichen Hemisphäre, oder James Wolfensohn, Präsident der
Weltbank, keiner von ihnen kommt an Jürgen Erich Schrempp vorbei.
Denn die Bilanz des DaimlerChrysler-Chefs ist beeindruckend: Umsatz- und Profitzuwächse
in zweistelliger Milliardenhöhe und mehr als eine Million weltweit verkaufter Fahrzeuge -
alles in diesem Jahr - sprechen die Sprache eines der erfolgreichsten Gobal Players. An
diesem Wochenende ehrt Freiburg sein berühmtestes Kind. Schrempp empfängt eine
Auszeichnung, die hierzulande ausschließlich den verdientesten Persönlichkeiten zuteil
wird: die Ehrenmütze der hiesigen Fasnetrufer. Seitdem seine Eltern 1996 gestorben sind,
hat Schrempp die Zelte in Freiburg abgebrochen, sieht man mal vom närrischen Treiben und
einigen Alibiterminen ab. Eines Tages hat SC-Präsident Achim Stocker bei Gerlinde
Schrempp angerufen: »Warum hilft er dem Sport-Club nicht?« Vater Ernst war schließlich
Ehrenvorsitzender. »Jürgen lässt Freiburg hängen«, kommentiert die Ex-Schwägerin.
Dabei ist der am 15. September 1944 Geborene ein waschechtes Bobbele. In bescheidenen
Verhältnissen hat die Familie in der Konradin-Kreutzer-Straße gewohnt und ist später in
die Sternwaldstraße umgezogen. Die Nachkriegsjahre sind hart, und erst als Ernst Schrempp
in späteren Jahren im Vorzimmer des Rektors der Uni Freiburg landet und dann sogar das
Prüfungsamt des Oberschulamts leitet, ist die Kassenlage besser. In ihren Jugendjahren
hält die Schrempp-Gang wie Pech und Schwefel zusammen. In der Wiehre schützen
Klein-Jürgen und Noch-kleiner-Wolfgang den großen Bruder Günter gegen die Attacken
anderer Knaben. Durchgeboxt haben sie sich auch danach. Immerhin findet Jürgen den Weg
aufs Rotteck-Gymnasium, das er mit der Mittleren Reife verlässt und eine Lehre bei der
hiesigen Mercedes-Niederlassung beginnt.
Es folgt die Zeit, da er eine Frau kennenlernt, die in der elterlichen Wäscherei die
Reinigungsannahme betreut und auch selbst bügelt. Aufgrund seines zarten Alters muss sich
er sich erst noch Vaters schriftliche Einwilligung besorgen, bevor er Renate Lutz
ehelichen und danach zur Bundeswehr gehen kann. Pflichtbewusst setzt er zwei Kinder in die
Welt, schließt strebsam sein Ingenieurstudium an der Offenburger Fachhochschule ab und
nutzt anschließend das Rückkehrangebot des renommierten Autounternehmens. Karriere
machen erst einmal alle drei Schrempp-Brüder, doch was Jürgen schafft, ist keinem
Freiburger vor ihm gelungen. Mit Riesenschritten erklimmt er den Auto-Olymp. Ein Erfolg,
der zurückzuführen ist auf Eigenschaften ganz besonderer Natur.
Der Mann ist mit allem ausgestattet, was ein Narrkappenträger von Welt so braucht: den
Sinn für tiefgründigen Humor, die Fähigkeit zur mitreißenden Rede und zum
begeisternden Gesang. Dass Jürgen Erich aber nicht Vereinsvorsitzender einer lokalen
Narrenzunft, sondern Vorstandsvorsitzender des Global Players DaimlerChrysler geworden
ist, verdankt er einer weiteren Fähigkeit: seinem ausgeprägten Gespür für Macht.
Er sei Extremist, urteilt Schrempp über sich selbst. Stimmt. Schon der Schüler Schrempp
war extrem lerneifrig in Naturwissenschaften und extrem faul in Französisch was
ihm zu einer Ehrenrunde verholfen hat. Der Mensch Schrempp ist extrem humorvoll, extrem
einnehmend, extrem gewinnend was ihm einen großen Bekanntenkreis verschafft hat.
Der Manager Schrempp aber ist extrem rücksichtslos, extrem skrupellos und extrem
gefährlich was ihm viele Feinde eingebracht hat. Selbstverständlich versteht er
Spaß, so lange man mit ihm lacht. Das Lächeln aber gefriert, wenn einer wagt, ihm
ernsthaft zu widersprechen. Und steht man ihm und seinen Zielen im Weg, dann hat der Spaß
ein Ende. Dann wird der Manager zum reißenden »Raubtier mit scharfen Zähnen«, so die
treffende Charakterisierung des südafrikanischen Journalisten Hugh Murray. Und wenn das
Raubtier die Zähne fletscht, ist es besser rechtzeitig zu fliehen als ernsthaft zu
kämpfen. Denn den Kampf gegen ihn haben sie ausnahmslos alle verloren: die Dills und
Lieners bei Mercedes-Benz, die Schäfflers und Mehdorns bei der Dasa, die Reuters und
Werners bei Daimler-Benz, die Stallkamps und Eatons bei DaimlerChrysler. Weitere werden
folgen. Vor allem die, die sich zu sicher fühlen.
Schrempp ist Weltmeister im Vermarkten, vor allem seiner selbst. Zumindest bis zu seiner
Inauguration auf dem Chefsessel in Stuttgart-Möhringen hat sich der Manager durch alles
andere hervorgetan als durch eine erfolgreiche Geschäftsbilanz. Ob als Chairman der
Mercedes-Benz of South Africa, als stellvertretender Mercedes-Nutzfahrzeugvorstand oder
als Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz Aerospace (Dasa) in Ottobrunn in der
Regel sind seine Bilanzen rot, zuweilen dunkelrot. Dass er dennoch nicht gescheitert ist,
liegt an der Fähigkeit, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben.
In Pretoria und später in Untertürkheim profitiert er von der Zuwendung Gerhard Lieners.
Doch als er den Beteiligungs- und späteren Finanzvorstand nicht mehr benötigt, entlässt
er seinen Ziehvater Liener. In Ottobrunn genießt er die volle Rückendeckung Edzard
Reuters. Doch als der Dasa-Vorsitzende eine Chance auf Reuters Platz als Daimler-Chef
wittert, lässt er seinen Gönner fallen. Vom 6,5 Milliarden-Mark-Verlust des
Geschäftsjahrs 1995 geht das Gros auf das Schrempps Dasa-Konto. Aber dank geschickten
Taktierens muss der Berliner gehen. Und der Freiburger erreicht das Ziel, das er seit
Jahren fest im Visier hat: den Vorstandsvorsitz der Daimler-Benz AG, Deutschlands
größtem Industrieunternehmen.
Und der jüngste Coup? Schon erstaunlich, mit welcher Selbsttäuschung die ansonsten so
abgebrühten Manager in Auburn Hills den eigenen Untergang zelebriert haben. Geglaubt
haben die Chrysler-Vorstände Schrempps turbokapitalistischen Visionen vom optimierten
Shareholder-Value. Auch seinen Versprechungen vom permanent steigenden Aktienkurs auf dem
Altar der Wall Street. Und sogar sein Gerede vom Zusammenschluss zweier gleicher Partner.
Tatsächlich jagt seither eine Rekordbilanz die nächste. Doch die Fusion entpuppte sich
für die amerikanische Seite als Übernahme. Gleichberechtigt waren die beiden
Konzernschefs nie. Auch die Partnergesellschaften sind es derzeit nicht und werden es auch
nie sein.
Lange Jahre haben die Medien dem Herrn der Sterne zu Füßen gelegen, haben das Raubtier
respektiert. Die Macht der Werbegelder ist das Argument schlechthin gewesen. Denn die
Arroganz des Global Bobbele, die Rationalisierungsmaßnahmen in Ehe und Firma, das
Durchzocken gegen die US-Partner und der katastrophale Aktienkurs lassen die Stimmung
spürbar umschlagen. Dass Schrempp seine kranke Frau Renate freigestellt und sich mit der
jungen Sekretärin Lydia Deininger zusammengetan hat, nimmt man ihm selbst im eigenen
Unternehmen übel. Dass er mit Thomas T. Stallkamp und Robert J. Eaton die beiden
führenden Köpfe der US-Seite aus dem Konzern gedrängt hat, verunsichert weitere
amerikanische Anleger. Dass er mit seinen Bemühungen um die Aufnahme der Daimler-Aktie in
den begehrten US-Index Standard & Poors gescheitert ist, wird als Signal
gewertet. Und dass der Kurs der Aktie von 104,7 auf 67,2 Dollar dramatisch gefallen ist,
verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Eine Firma ist DaimlerChrysler noch lange nicht.
Und der Stern des Global Bobbele könnte genauso schnell und so tief sinken wie der des
Edzard Reuter. Dann erhält die Narrenkappe eine zweite, eher ungewollte Bedeutung.
Der Freiburger Jürgen Grässlin ist Autor der bislang einzigen Schrempp-Biografie: »Jürgen E. Schrempp. Der Herr der Sterne«.Zeitung zum Sonntag vom 06.02.2000